„Dudweiler ist mittlerweile regelrecht abgehängt“: Interview mit OB-Kandidat Markus Lein

Unterstützt von der Partei die Linke tritt Markus Lein als parteiloser Kandidat für den Posten des Oberbürgermeisters in Saarbrücken an. Der Musiklehrer aus Norddeutschland will vor allem die Verkehrsbelastung in den zentralen Bereichen der Landeshauptstadt reduzieren. Außerdem setzt er sich für die Abgehängten und Vergessenen ein. Das gilt nicht nur für einzelne Stadtteile. Die Hälfte seines Gehaltes will Lein an Obdachlose spenden. Wir trafen ihn für ein Interview an seinem Lieblingsplatz: Dem Saarbrücker Schloss.
Der Parteilose Markus Lein tritt für die Linke als Oberbürgermeister von Saarbrücken an. Foto: Tobias Ebelshäuser
Der Parteilose Markus Lein tritt für die Linke als Oberbürgermeister von Saarbrücken an. Foto: Tobias Ebelshäuser
Der Parteilose Markus Lein tritt für die Linke als Oberbürgermeister von Saarbrücken an. Foto: Tobias Ebelshäuser
Der Parteilose Markus Lein tritt für die Linke als Oberbürgermeister von Saarbrücken an. Foto: Tobias Ebelshäuser

SOL.DE: Warum haben Sie das Saarbrücker Schloss als Lieblingsort ausgewählt?

Markus Lein: Ich wohne in der Gegend und es ist für mich einer der wenigen Ruheorte in der Innenstadt. Gerade im Sommer ist das hier eine kleine Oase.

Leider ist es nicht überall so schön wie hier. An welchen Orten in Saarbrücken sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Ganz aktuell Dudweiler. Die Fußgängerzone ist in einem desolaten Zustand, es gibt sehr viele Leerstände, auch die Verkehrssituation lässt zu wünschen übrig, das Schwimmbad ist dringend sanierungsbedürftig. Das ist ein Stadtteil, der mittlerweile regelrecht abgehängt wurde. Das gilt auch für Malstatt. Da ist man in einer anderen Welt. In Saarbrücken wird sehr viel Geld investiert in die Innenstadt, den St. Johanner Markt, Bahnhofstraße und so weiter, aber die anderen Stadtteile werden sehr vernachlässigt.

Was wären denn Maßnahmen, die man zum Beispiel in Dudweiler umsetzen könnte?

Erstmal Straßenbaumaßnahmen. Die Straßen sind in schlechter Verfassung. Dann haben wir viele Sozialbedürftige, viele Hartz4-Empfänger, die zum Teil in desolaten Wohnzuständen leben. Da müsste Wohnraum instand gesetzt werden. Und es fehlt sowieso Wohnraum in Saarbrücken. Wir benötigen etwa 17.000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau. Natürlich müsste auch städteplanerisch gehandelt werden. Arzt, Einkaufsmöglichkeiten, Apotheke, Post, an diesen Strukturen fehlt es in Dudweiler und Burbach.

Sie haben in einem Interview Charlotte Britz ein großes Sündenregister in der Verkehrspolitik vorgeworfen. Was wären denn Ihre Maßnahmen, um den Verkehr zu entlasten?

Erstmal müsste man versuchen, den Pendelverkehr aus der Stadt an die Peripherie zu verlegen. Man könnte an geeigneten Punkten am Rand der Stadt, zum Beispiel an der Saarlandhalle, Mobilitätsstationen einrichten. Ein Hochparkhaus, wo auch Cafés drin sind und kleine Geschäfte und wo die Pendler zu einem niedrigen Preis parken können.

Im Anschluss braucht man natürlich einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr, der eng vertaktet ist, der billig ist und der über moderne Kommunikationsmittel, zum Beispiel über eine App, verfügt. In anderen Städten wie in Mainz kann man über eine App in Parkhäusern Pedelecs mieten, die man an einem anderen Ort in der Stadt dann wieder abgeben kann. Das wäre eine zweite Möglichkeit: Den Verkehr von Auto auf E-Mobilität umstellen. Natürlich sind die anders zu pflegen und teurer in der Anschaffung, aber das sind wichtige, zukunftsweisende Projekte, die wir nicht einfach so verschlafen dürfen in Saarbrücken.

Sie haben sich auch für die Einführung einer City-Maut ausgesprochen. Wie sähe das aus?

Das wäre auch so eine Idee, um Stadtteile, die stark frequentiert sind vom Einzelverkehr, zu entlasten. Nehmen wir mal das Nauwieser Viertel. Da ist so viel Verkehr, der gar nicht von den Anrainern ausgeht. Man muss die City-Maut aber im Kontext mit den Mobilitätsstationen sehen. Man muss natürlich ein Alternativangebot einrichten. Wenn Sie innerstädtische Bereiche ansehen, haben wir außerdem eine unglaublich hohe Frequenz von Kurierdiensten. Dadurch entstehen Kosten durch Emission und an der befahrenen Strecke. Diesen Unternehmen könnte man vielleicht eine sogenannte Emissionsabgabe aufbürden. Der BUND Saarland würde auch gerne beratend zur Seite stehen und das wäre sogar kostenlos.

Sie kommen eigentlich aus Norddeutschland. Was hat Sie ins Saarland getrieben?

Ich komme aus Lüneburg – alte Bach-Stadt. Ich bin ja Musiker und es war natürlich für mich ein wunderbares Umfeld, mit Musik aufzuwachsen. Danach hatte ich drei Optionen: Karlsruhe, Freiburg und Saarbrücken. Und habe mich dann für Saarbrücken entschieden.

Sie haben sich vor allem dafür entschieden, auch in Saarbrücken zu bleiben, also leben jetzt noch in Saarbrücken. Wie kam es dazu?

Es wachsen einfach soziale Strukturen. Ich bin Vater von zwei 16-jährigen Töchtern. Dann hat das Saarland natürlich die Nähe zu Frankreich. Wenn Sie aus dem Norden kommen, ist die Lebensweise schon was Besonderes. In meiner Heimatstadt Lüneburg gab es früher ein Eiscafé, in dem man im Sommer draußen sitzen konnte. Sonst war das gar nicht üblich. Ich kam dann nach Saarbrücken in den 80er Jahren und das war toll: Am Markt im Sommer saßen alle Leute auf der Straße und haben es sich gut gehen lassen. Das ist einfach dieser Einfluss aus Frankreich. Gerade als Künstler spricht einen das wohl besonders an.

Warum ziehen junge Leute weg aus Saarbrücken und dem Saarland?

Viele Studenten befinden sich einfach in einer extremen Mehrfachbelastung. Auf der einen Seite müssen sie ihre Leistungen im Studium bringen, auf der anderen Seite müssen sie Lebensunterhalt finanzieren, müssen überteuerte Mieten bezahlen. Da würde ich mich als Oberbürgermeister einsetzen, diese Studenten besser zu begleiten, nicht nur psychologisch, sondern auch finanziell. Ich habe selbst Zeiten erlebt, in denen ich von fünf D-Mark am Tag auskommen musste. Es muss auch möglich sein, Studenten auf den Berufsalltag vorzubereiten. Sie sind irgendwann fertig und werden auf die Gesellschaft losgelassen. Es müsste zum Beispiel einen städtischen Fonds geben, der Studenten, die vorhaben, sich selbstständig zu machen, unter die Arme greift.

Für viele junge, qualifizierte Menschen ist das Problem, dass sie nach ihrem Studium keinen Job hier finden. Was könnte man als Stadt tun, um Unternehmen anzulocken?

Das Problem ist einfach, dass in sehr vielen Unternehmen qualifizierte Arbeitskräfte nur als Leiharbeiter arbeiten – also mit befristeten Verträgen, kurzzeitig. Das können sie natürlich als Kommune wenig steuern. Man könnte die relativ hohe Gewerbesteuer senken, um Gewerbe anzulocken, aber ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist. Man sollte vielleicht erstmal versuchen, eine Gesetzesinitiative anzustoßen, dass Umsätze und Gewinne nicht mehr da versteuert werden, wo der Firmensitz ist. Zum Beispiel ZF, die haben ihren Hauptsitz in Friedrichshafen. Die versteuern ihre Umsätze dort, haben aber hier ein riesiges Werk. Man könnte außerdem fordern, dass der Anteil an der Umsatzsteuer, den die Kommune bekommt, erhöht wird.

Ein Thema, das unsere Leser sehr beschäftigt ist die Sicherheit in Saarbrücken. Die Menschen fühlen sich unsicher. Glauben Sie da ist was dran? Und was könnte man dagegen tun?

Man sagt ja immer, dass das sogenannte subjektive Gefühl diametral ist zu den statistischen Zahlen. In Deutschland wäre es noch nie so sicher gewesen wie heute, trotzdem hat der Bürger ein Unsicherheitsgefühl. Ich kann mich dem anschließen: Also ich fühle mich auch manchmal nicht mehr so sicher in Saarbrücken. Vielleicht, weil man auch jeden Tag was in der Zeitung oder im Internet liest. Durch die weggefallenen Grenzkontrollen ist das Problem noch ein bisschen größer geworden.

Ich bin unzufrieden mit der Situation der Polizei in Saarbrücken. Wir brauchen in Saarbrücken mehr Polizisten und wir brauchen sie zentral, sodass die Bürger einen direkten Ansprechpartner haben. Wenn sie mal das Gefühl haben, die Polizei ist gar nicht da, wenn man sie braucht, dann erhöht sich natürlich dieses subjektive Gefühl. Ich finde es nicht gut, dass man immer mehr versucht die Dienststellen zu dezentralisieren. Richtung Ostspange ist eine große Dienststelle im Bau befindlich, die die Dienststelle Karcherstraße auflösen soll. Wir haben heute schon die Situation, wenn man anruft bei der Polizei, dass gesagt wird: „wir haben kein Personal, wir können nicht kommen“. Da müsste einfach mal richtig aufgestockt werden. Da könnte man auch ganz viele Arbeitsplätze schaffen, auch gerade für junge Leute.

Neben Arbeitsplätzen mangelt es außerdem an bezahlbarem Wohnraum. Wie könnte man hier eingreifen?

In einer Stadt, wo Sozialwohnungen fehlen, finde ich die Bebauung mit hochpreisigen Wohnbereichen unmöglich. Die Stadt Saarbrücken weiß noch nicht mal genau, wo überall Leerstände vorhanden sind. Erstmal muss man diese Wohnungen wieder auf den Markt bringen und Wohnraum instand setzen. In dem Zusammenhang plädiere ich auch für ein sogenanntes Zweckentfremdungsverbot: Wenn ein Investor an privat Wohnraum über einen längeren Zeitraum vermietet hat und das jetzt zu Eigentumswohnungen umwandeln will, ist das nicht mehr möglich. Er kann auch nicht einfach Mietraum zu Gewerbeflächen umwandeln. Dass Wohnfläche oder Gewerbefläche zum Spekulationsobjekt werden, können wir uns überhaupt nicht leisten.

Sie haben das Versprechen abgegeben, dass sie die Hälfte ihres Gehalts mindestens ein Jahr lang spenden wollen, um Obdachlosen zu helfen. Wie soll das aussehen?

Die Hälfte meines Einkommens soll in einen Fonds für Obdachlose fließen, der von der Stadt verwaltet wird. Ich kam mal um die Jahrtausendwende einem Obdachlosen ins Gespräch. Er ist aus widrigen Umständen auf der Straße gelandet. Ich habe ihm einen Vorschlag gemacht: „Ich rufe jetzt mal ein paar Betriebe an und frage, ob sie bereit wären, Sie mal probeweise zu beschäftigen. Ich bürge für Sie.“ Nach ein paar Telefonaten habe ich ein Unternehmen gefunden. Dann hatten wir einen konkreten Termin für ein Vorstellungsgespräch und er ist leider nicht hingegangen. Das liegt oft einfach daran, dass die Leute keinen Mut mehr haben. Wenn Sie so lange auf der Straße leben, sind Sie einfach nicht mehr so qualifiziert. Da muss es eine Patenschaft geben. Menschen, die diese Menschen persönlich begleiten. Dann hat man also diesen Fonds, der das finanziell ausstattet. Was mir viel wichtiger ist, ist die Symbolkraft. Dass so ein Mensch, merkt: Da ist jemand, der sich wirklich kümmert und hilft, noch mal ins Leben zurückzufinden. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um diese Menschen wieder in unseren normalen Lebensablauf zu integrieren.

Im letzten Jahr war auch das Nauwieser Viertel ein großes Streitthema. Anwohner fühlen sich gestört von Kneipengängern, Müll und Lärm. Wie könnte man schlichten?

Auf der einen Seite war das Viertel immer für seine Kneipenszene bekannt. Nichtsdestotrotz muss es natürlich auch Regeln geben. Es kann nicht sein, dass mitten in der Nacht Leute auf der Straße randalieren. Da müsste eine gewisse Polizeipräsenz da sein. Dann müssten aber auch die Betreiber der Gastronomien mit eingebunden werden und auch zu einer gewissen Rechenschaft gezogen werden. Die müssen auf ihre Gäste einwirken und am nächsten Tag schauen, ob noch alles im Rechten ist. Man muss nicht gleich mit dem Zeigefinger auf die Kommune deuten, sondern in Gespräche eintreten.

Wir hatten im vergangenen Jahr außerdem Starkregenereignisse und Unwetter, die zu Überschwemmungen geführt haben. Wie könnte die Stadt das Problem angehen?

Das Problem ist: Das Wasser versickert nicht mehr durch die Flächenversiegelung. Es gibt anscheinend viele versiegelte Flächen, die brachliegen. Das müssen wieder Naturflächen werden. Beim letzten Hochwasser 1998 hat man erkannt, dass durch die Flussbegradigungen die Wassermengen nicht mehr aufgenommen werden können. Dann hat man oberhalb der Saar Rückbauten vorgenommen. Wir müssen brachliegende, versiegelte Flächen wieder naturalisieren und auch was Neubauten angeht mit Maß und Ziel vorgehen.

Vielen Menschen ist das Thema Umweltschutz zu abstrakt. Was könnte man konkret tun, um die Saarbrücker zum Umdenken zu bewegen, zum Beispiel mehr Fahrrad zu fahren?

Natürlich ist niemand bereit aufs Fahrrad umzusteigen, wenn er Angst haben muss, er wird vielleicht irgendwo vom LKW erfasst. Da hätte ich zum Beispiel mal die Forderung, statt die Radwege schön bunt zu lackieren, hätte man lieber mal Randsteine setzen können, um wirklich den Fahrradfahrern auch mal ein sicheres Fahrgefühl zu vermitteln. Wenn der Pendelverkehr aus der Stadt rauskommt, werden dadurch Flächen frei, die man für andere Dinge nutzen kann. Sie könnten breitere Fußwege anlegen, sie könnten breitere Fahrradwege anlegen.

An Saarbrücken mag ich:

Die Saar, das Kneipenangebot – auch wenn ich in letzter Zeit nicht so viel daran partizipiere – und einfach die Nähe zu Frankreich.

An Saarbrücken mag ich nicht:

Die Verkehrsbelastung, die Lärmbelastung und den ausufernden Lieferverkehr in der Fußgängerzone

Was ist Markus Lein privat für ein Mensch?

Ein denkender Mensch, der versucht, wie ein Schwamm viele Themen aufzunehmen und durch den Schwamm durchlaufen zu lassen und wieder geladen an die Außenwelt abzugeben.

Mit dem Oberbürgermeister Markus Lein wird Saarbrücken…

Moderner, sozialer, gerechter und verkehrsberuhigter.

Die bisherigen Interviews mit den OB-Kandidaten:

„Ich bin ein echter Saarbrücker Bub“: Interview mit OB-Kandidat Gerald Kallenborn

Weiter geht es nächste Woche mit den Kandidaten Michael Franke von der PARTEI und Barbara Meyer-Gluche von den Grünen.