Ein Skandal ohnegleichen – Missbrauchsfall erschüttert Bistum Trier

Der Missbrauchsskandal kam per Zufallsfund in einem Messi-Haus nach dem Tod eines Priesters ans Tageslicht. Die Dimensionen sind noch nicht abschätzbar. Klar ist aber, er reicht bis nach Afrika.
In diesem Haus wohnte der verstorbene Priester Edmund Dillinger, der wohl über Jahre hinweg Minderjährige missbraucht hat. Foto: picture alliance/dpa
In diesem Haus wohnte der verstorbene Priester Edmund Dillinger, der wohl über Jahre hinweg Minderjährige missbraucht hat. Foto: picture alliance/dpa

Missbrauchsskandal erschüttert Bistum Trier

Es ist einer der bislang größten Missbrauchsfälle, der das katholische Bistum Trier erschüttert. Über Jahrzehnte soll ein Priester vor allem Jugendliche sexuell missbraucht haben und seine Opfer in teils pornografischen Posen fotografiert haben. Nach dem Tod des saarländischen Geistlichen Ende November 2022 hat dessen Neffe Steffen Dillinger rund 1.000 ungerahmte Dia-Aufnahmen in dessen Haus in Friedrichsthal bei Saarbrücken gefunden. Und mit dem Schritt in die Öffentlichkeit Wellen ausgelöst, die über das Bistum Trier herausgehen.

Priester fotografierte seine Missbrauchsopfer über Jahrzehnte

„Der Fall lässt mich nicht los“, sagte Steffen Dillinger der Deutschen Presse-Agentur. Nach Sichtung des Materials in der Kiste, die er im Arbeitszimmer des verwahrlosten Hauses gefunden hatte, geht er von mehr als 100 Opfern aus. Die Bilder seien hauptsächlich auf Reisen entstanden, es handele sich meist um ausländische Opfer in Afrika, Südamerika und Asien.

Aufarbeitung des Falls stockt

Da ist einmal der Schock über die Entdeckung. Opfer seien Pfadfinder, Messdiener, Schüler und Studenten und junge Frauen gewesen. Aber da ist nun auch der Frust darüber, dass er sich bei der angestoßenen Aufarbeitung alleine gelassen fühlt. „Ich möchte, dass das seriös aufgearbeitet wird.“ Und das sehe er nach Kontakten zum Trierer Bischof Stephan Ackermann und zur Aufarbeitungskommission im Bistum Trier gar nicht.

Da rede man über Dinge, obwohl man das Material noch gar nicht angeschaut habe. „Und man gibt mir Belehrungen. Ich bin bitter enttäuscht von dem System und muss auch langsam von Unfähigkeit reden. Ich fühle mich an der Stelle auch als Opfer“, sagte Dillinger, der beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden arbeitet. Er sei nun soweit, sich auch an die Bundesbeauftragte für Missbrauch zu wenden.

Dimension des Falls ist noch nicht abzuschätzen

Noch ist das Ausmaß der Taten von Edmund Dillinger, der mit 87 Jahren starb, unklar. „Im Moment erreichen uns viele neue Informationen und Hinweise, die wir zunächst auswerten und zusammenführen müssen“, teilte der Trierer Generalvikar Ulrich Graf von Plettenberg mit. Bischof Ackermann hatte den Generalvikar kürzlich mit Aufklärung betraut, „um die Dimension des Falles“ zu erfassen“. Die Ausmaße seien bisher nicht bekannt gewesen.

Hinweise auf Doppelleben in Afrika

Und es zeichnet sich ab, dass da noch mehr kommen wird. Laut Bistum gibt es Hinweise „auf ein Doppelleben“ des Priesters in Afrika unter falschen Namen: Der Geistliche hatte 1972 ein Hilfswerk für soziale Projekte in Afrika gegründet – und viele Reisen dorthin unternommen. In Kamerun avancierte er so zum Ehrendomherren der Kathedrale von Mbalmayo. Auf den Fotos sind viele dunkelhäutige Opfer.

Und es gibt laut Bistum auch Hinweise gegen den Mann, die über Vorwürfe aus den 1960er- und 1970er-Jahren hinausgehen, die in eine kirchenrechtliche Voruntersuchung 2012 eingeflossen waren. 2012 war Ackermann bereits als Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz im Amt (bis 2022).

Vorwürfe gegen Dillinger waren dem Bistum bekannt

Der Fall des Edmund Dillinger, über den die „Rhein-Zeitung“ zuerst berichtet hat, ist aber auch deshalb auch so brisant, weil er beispielhaft für das steht, was in der katholischen Kirche in der Vergangenheit nachweislich immer wieder passierte: Missbrauchstaten wurden systematisch vertuscht, Täter wurden versetzt.

So auch Dillinger: Nach Hinweisen auf sexuellen Missbrauch wurde er unter dem einstigen Trierer Bischof Bernhard Stein Anfang der 1970er-Jahre aus Hermeskeil im Hunsrück beurlaubt und ging zum Studium an die Universität Köln. Es folgten Stationen als Religionslehrer in Leverkusen, Dozent am Religionspädagogischen Institut des Erzbistums Köln und von 1979 bis 1999 Religionslehrer an einem Gymnasium in Saarlouis im Saarland. „Er hat auch immer wieder Vertretungen gemacht für Pfarreien, auch im Saarland“, sagte Dillinger.

„Bei dem Fall Dillinger ist durch den Zufallsfund klar geworden, wie groß das Dunkelfeld ist“, sagte die Sprecherin des Vereins der Missbrauchsopfer und Betroffenen im Bistum Trier (Missbit), Jutta Lehnert. „Die Dunkelfeldziffer ist riesig und übersteigt ein Vielfaches das, was bekannt wird.“ Vom Bistum Trier erwarte sie keine Aufarbeitung. „Das muss staatlich passieren.“

Dillinger war 2012 sanktioniert worden

2012 hatte sich das Bistum Trier „aufgrund von Hinweisen wegen auffälligen Verhaltens des Ruhestandsgeistlichen“ mit der Personalakte des Priesters befasst – und dabei Hinweise „auf sexuell übergriffiges Verhalten“ gefunden. Daher wurde dem Mann dann der Umgang mit Kindern und Jugendlichen untersagt, er durfte keine Gottesdienste mehr halten.

Staatsanwaltschaft prüft den Fall

Nach den Schlagzeilen der vergangenen Tage prüft die Staatsanwaltschaft Saarbrücken mögliche neue Ermittlungen. Es gebe „Vorermittlungen“, ob ein Anfangsverdacht gegen andere an den Taten Beteiligte bestehe, die nicht verjährt seien, sagte der Sprecher. Das Material sei am Freitag bei dem Neffen sichergestellt worden und solle nun gesichtet werden.

Für den Vorsitzenden der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Bistum Trier, Gerhard Robbers, sticht der Fall Dillinger bistumsweit heraus: „Soweit mir bisher bekannt, erscheint dieser Fall von der Zahl der Betroffenen her der größte Fall“, sagte er.

Kritik an Kommissionssprecher

Robbers, früher Justizminister in Rheinland-Pfalz, hatte wegen Aussagen nach einem Gespräch mit Dillinger für Furore gesorgt. Robbers habe ihm geraten haben, umfängliches belastendes Fotomaterial „zu verbrennen“, weil der Besitz von kinderpornografischem Material strafbar sei, sagte Dillinger. Robbers stritt das in einer Erklärung ab und sprach von einem Missverständnis.

Mehrere Opfer nahmen Kontakt auf

Bei Dillinger haben sich inzwischen mehrere Opfer gemeldet. In der Zeit, in der sein Onkel in Saarlouis Lehrer gewesen sei, habe er auch afrikanische Gaststudenten in seinem Haus wohnen lassen, erzählte er. „Die hatten klar ein Abhängigkeitsverhältnis.“ Einige wenige Bilder, die er gefunden hat, könne er auch dem Haus in Friedrichsthal zuordnen. „Da gibt es fünf bis maximal zehn Opfer.“

Deutsche Presse-Agentur