Expert:innen: Trierer Amokfahrt könnte Menschen lebenslang beeinträchtigen

In der Fußgängerzone von Trier kommt es zu einer tödlichen Amokfahrt. Verletzten und Augenzeugen brennen sich grausame Bilder ein. Manche könnten diese nie mehr loswerden, befürchten Expert:innen. Nun geht es auch um langfristige Hilfe.
Die Amokfahrt in Trier könnte Menschen lebenslang beschäftigen. Foto: Harald Tittel/dpa-Bildfunk
Die Amokfahrt in Trier könnte Menschen lebenslang beschäftigen. Foto: Harald Tittel/dpa-Bildfunk
Die Amokfahrt in Trier könnte Menschen lebenslang beschäftigen. Foto: Harald Tittel/dpa-Bildfunk
Die Amokfahrt in Trier könnte Menschen lebenslang beschäftigen. Foto: Harald Tittel/dpa-Bildfunk

Nach der tödlichen Amokfahrt in Trier mit 5 Toten und 24 Verletzten am vergangenen Dienstag warnen Expert:innen vor lebenslangen Beeinträchtigungen. Der Opferbeauftragte der rheinland-pfälzischen Landesregierung, Detlef Placzek, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Der 1. Dezember 2020 wird sich für viele über Jahre, für manche für immer in die Herzen und Seelen einbrennen.“

Opferbeauftragte: Viele werden ihr ganzes Leben beeinträchtigt sein

Auch die Trauma-Expertin Sybille Jatzko aus Krickenbach bei Kaiserslautern betonte: „Viele werden ihr ganzes Leben lang beeinträchtigt sein.“ Nach einem anderen früheren Anschlag habe ein Angehöriger, der jemanden in seiner Familie verloren habe, ihr gesagt: „Der Täter kriegt vielleicht zehn Jahre Haft, aber ich habe lebenslang bekommen.“

Amokfahrer tötet mehrere Menschen

Der 51 Jahre alte Tatverdächtige hatte nach bisherigen Erkenntnissen betrunken mit einem Geländewagen in hohem Tempo in der Fußgängerzone in Trier offenbar gezielt Menschen überfahren. Unter den fünf Getöteten war auch ein Baby. Der Mann sitzt in Untersuchungshaft. Dem Deutschen wird unter anderem mehrfacher Mord vorgeworfen.

Amofahrten schwer erklärbar

Der Risikoforscher Ortwin Renn kann nach eigenen Worten gut nachempfinden, wenn jetzt Menschen mit einem mulmigen Gefühl in die Trierer Fußgängerzone gingen. „Terror und Amokläufe haben eine höhere Symbolkraft als Verkehrsunfälle“, sagte der Wissenschaftliche Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam. „Man kann sich Amokfahrten weniger erklären als tödliche Verkehrsunfälle.“ Die Tötung von Passant:innen einschließlich eines Babys wie in Trier sei verstörend. Passiere so etwas in einem als sicher geltenden Staat wie Deutschland, „wird uns die Verwundbarkeit des eigenen Lebens sehr viel deutlicher“.

Amokläufe selten

Mit Blick auf Trier ergänzte Renn, zwar gebe es Nachahmungstäter, aber Amokläufe seien extrem selten in Deutschland: „Hier hat es noch nie Amokläufe zweimal am selben Ort gegeben.“ An bundesweit mehrere Tausend Todesopfer im Straßenverkehr jedes Jahr seien viele gewöhnt. Aber zu einem Amoklauf mit mindestens einem Toten sei es in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren im Schnitt alle zwei Jahre gekommen.

Seelsorger:innen kümmern sich um Opfer

Der Opferbeauftragte Placzek sagte, er sei noch am Tag der tödlichen Tat in die Moselstadt gefahren. Rasch hätten sich die Seelsorger:innen und Traumatherapeut:innen der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) um Opfer, Helfer:innen und Augenzeug:innen gekümmert. Danach habe er als kurzfristige Hilfe die Traumaambulanzen in Rheinland-Pfalz kontaktiert. Rasch eingerichtet worden sei auch die Notfallhotline 0800 0010218, über die Traumatherapeut:innen und Psycholog:innen rund um die Uhr Beratung böten.

Auch Einsatzkräfte suchen nach Hilfe

Bis Freitagmittag hätten sich hier „44 Betroffene gemeldet. Das waren teils längere therapeutische Gespräche“, sagte Placzek. Außerdem hätten Mitarbeiter:innen von Polizei und anderen Berufsgruppen sowie sogar Therapeut:innen selbst telefonisch Hilfe gesucht. Das seien insgesamt 18 weitere Anrufer gewesen.

Placzek will allen Zeug:innen Hilfe anbieten

Zudem wolle er alle ermittelten Augenzeug:innen anschreiben und ihnen Hilfe anbieten. „Das ist eine sehr große Zahl“, sagte der Opferbeauftragte. Das tue er natürlich auch in gebotener Zurückhaltung und auf Wunsch bei den Verletzten in den Krankenhäusern. Allen diesen Bürger:innen wolle er zeigen, dass sie nicht alleine seien, betonte der Präsident des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung Rheinland-Pfalz in Mainz.

Das gelte auch langfristig: „Wir sind im Gespräch mit der Stiftung Katastrophen-Nachsorge. Wir wollen mit ihr ein Forum bieten, wo sich Opfer austauschen können“, erklärte Placzek. Es gehe um Fragen wie „Warum war ich zu dieser Zeit da?“ oder „Warum hat er das gemacht?“ Der Opferbeauftragte ergänzte: „Wir wissen, dass manche denken, sie kämen alleine zurecht, und dann brauchen sie erst Wochen oder Monate später Hilfe. Es gibt hier kein zeitlich gesetztes Ende.“

Flashbacks sind möglich

Gründerin der Stiftung Katastrophen-Nachsorge ist die Trauma-Expertin Jatzko. Sie sagte, manche Verletzte und Augenzeugen könnten auch nach langer Zeit noch bei Reizauslösern wie Motorengeräuschen einen Flashback, also eine Nachhall-Erinnerung erleben. Posttraumatische Belastungsstörungen seien möglich. Manche Augenzeugen der Tat in Trier vermieden womöglich künftig den Gang in Fußgängerzonen. Jeder Mensch sei anders: „Manche brauchen eine Therapie, andere haben gute Eigenressourcen und brauchen sie nicht.“ Wenn Symptome nach sechs Wochen unverändert stark seien oder sogar zunähmen, rate sie zu einer Therapie.

Verwendete Quellen:
– Deutsche Presse-Agentur