Streit über Corona-Maßnahmen im Herbst: Großer Unmut über Sachverständigen-Gutachten

Eigentlich hätte das Sachverständigen-Gutachten des Corona-Experten-Gremiums der Bundesregierung als Grundlage für die weiteren Corona-Maßnahmen im Herbst dienen sollen. Doch statt der erhofften Klarheit bleiben weiter viele Fragen offen. Das sorgt auf vielen Seiten für reichlich Unmut:
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will dem Sachverständigen-Gutachten keine erhöhte Bedeutung beimessen. Archivfoto: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will dem Sachverständigen-Gutachten keine erhöhte Bedeutung beimessen. Archivfoto: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Sachverständigen-Gutachten zu Corona-Maßnahmen schafft keine Klarheit

In den vergangenen Wochen haben Vertreter:innen der Bundesregierung bei der Frage nach den möglichen Corona-Maßnahmen im Herbst immer wieder auf das zu diesem Zeitpunkt noch ausstehende Sachverständigen-Gutachten des Corona-Experten-Gremiums verwiesen. Der Evaluierungsbericht sollte die Wirksamkeit der vergangenen Corona-Maßnahmen auf wissenschaftlicher Grundlage bewerten und so Klarheit darüber schaffen, welche Beschränkungen sinnvoll und welche weniger sinnvoll sind.

Expertengremium bemängelt schlechte Datenlage in Deutschland

Wirklich nützliche Ergebnisse konnte der am vergangenen Freitag veröffentlichte Bericht allerdings nicht liefern. Aufgrund der schlechten Datenlage in Deutschland sei eine detaillierte Bewertung von einzelnen Corona-Maßnahmen schlichtweg nicht möglich. Wirkungen und Nebenwirkungen einzelner Schutzmaßnahmen könnten kaum für sich genommen beurteilt werden, so das Gremium.

Einzig beim Thema Maskentragen konnte der Bericht eine halbwegs deutliche Aussage liefern. So heißt es in dem Gutachten: „Die Kombination von epidemiologischen Erkenntnissen und tierexperimenteller Bestätigung lässt die Schlussfolgerung zu, dass das Tragen von Masken ein wirksames Instrument in der Pandemiebekämpfung sein kann“.

Viel Kritik nach Sachverständigen-Gutachten

Für sein Gutachten erntete das Expertengremium von vielen Seiten Kritik. Neben „eklatanten Mängeln bei der Datenlage und der wissenschaftlichen Begleitung der Pandemie“ sowie dem Vorwurf „lediglich banale Schlussfolgerungen“ zu ziehen wird auch die Besetzung des Expertengremiums angeprangert. Demnach seien zu wenige Expert:innen aus der Epidemiologie beteiligt gewesen. Ein Grund, warum auch der Virologe Christian Drosten dem Gremium bereits im April den Rücken zugekehrt hatte. Damals erklärte Drosten, dass weder Ausstattung noch Zusammensetzung der Kommission ausreichten, um eine wissenschaftlich hochwertige Evaluierung gewährleisten zu können.

Gesundheitsminister Lauterbach: „Sachverständigen-Gutachten keine Bibel!“

Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Bedeutung des Sachverständigen-Gutachtens für die Corona-Maßnahmen relativiert. Demnach sei der Bericht „keine Bibel, aus der zu zitieren ist“ und „nicht das letzte Wort“. Auf Twitter schrieb Lauterbach, dass das Gutachten zwar wichtig für die Vorbereitungen im Herbst sei, aber keinesfalls zum „Bremsklotz“ werden dürfe. Der Gesundheitsminister betonte in mehreren Interviews, dass der Expertenbericht „nur ein Puzzlestück in einem größeren Puzzle“ sei.

Expert:innen wehren sich gegen Kritik an ihrer Arbeit

Drei Mitglieder des Expertengremiums haben sich inzwischen gegen den medialen und politischen Umgang mit ihrem Gutachten gewehrt und Kritik an der Politik geübt. „Die Kommission wird eingesetzt, arbeitet, liefert pünktlich. Und muss am Tag der Abgabe von führenden Politikerinnen und Politikern lesen, dass man ‚eh schon alles wisse‘ und das Gutachten kein ‚Bremsklotz‘ sein dürfe“, schrieben die Sozialforscherin Jutta Allmendinger, der Volkswirt Christoph Schmidt und der Virologe Hendrik Streeck am Dienstag (5. Juli 2022) in einem Beitrag für „Zeit Online“. In dem Beitrag wurde auch erneut die von der Politik zur Verfügung gestellte Datengrundlage kritisiert, unter der eine „detaillierte Bewertung von einzelnen Maßnahmen der Corona-Pandemie schlichtweg nicht möglich“ sei.

Lauterbach bezieht Stellung bei ZDF-Talkshow „Markus Lanz“

Noch am Dienstagabend verteidigte Gesundheitsminister Karl Lauterbach seine Anmerkungen zur Arbeit der Kommission. In der TV-Sendung „Markus Lanz“ erklärte Lauterbach, dass die vergangene Bundesregierung Fehler bei der Besetzung des Gremiums gemacht und er „mit der Besetzung nichts zu tun“ gehabt habe. Für den kommenden Herbst versprach der Gesundheitsminister eine bessere Datenerfassung. Dem aktuellen Sachverständigen-Gutachten will er nicht zu viel Bedeutung beimessen. Der Bericht sei demnach nur einer von mehreren Bausteinen, die man bei der Beurteilung der Corona-Vorbereitungen für den Herbst beachten müsse. In diesem Zusammenhang betonte Lauterbach, dass man nun Tempo in die Sache bringen müsse.

Regierung will noch im Juli Konzept für Corona-Maßnahmen im Herbst vorlegen

Laut Angaben von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Bundesregierung noch im Juli ein Konzept für den Corona-Herbst vorlegen. Dieses könnte nach aktuellem Informationsstand wieder eine weitreichende Maskenpflicht vorsehen. Einen erneuten Lockdown schließe man hingegen aus jetziger Perspektive aus.

Verwendete Quellen:
– eigene Recherche
– Berichte von „ZDF“, „Tagesschau“, „Deutsche Presse-Agentur“, „ntv“ und „Zeit Online“
– Tweet von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vom 01.07.2022
– ZDF-Sendung „Markus Lanz“ vom 05.07.2022