Wie die Pflegekräfte im Saarland mit Füßen getreten werden: „Ich habe mehr als nur einmal im Auto geweint“

Die Pflegekräfte im Saarland müssen bereits seit einigen Jahren unter schwierigen Arbeitsbedingungen tagtäglich Großes leisten. Durch die Corona-Pandemie hat sich die Situation der Pfleger:innen noch weiter verschlechtert. Viele berichten von einer extremen Arbeitsbelastung bei wenig Wertschätzung. Wir haben unter anderem mit Ex-Pflegekraft Judith (Name von der Redaktion geändert) gesprochen, die ihren Job in einem saarländischen Krankenhaus erst vor ein paar Monaten gekündigt hat. Was sie zu diesem Schritt bewegt hat und wie es ihr heute damit geht:
Die Belastung für Pflegekräfte ist extrem hoch. Manchmal so hoch, dass die Kräfte ihren Job kündigen. Symbolfoto. picture alliance/dpa | Danny Gohlke
Die Belastung für Pflegekräfte ist extrem hoch. Manchmal so hoch, dass die Kräfte ihren Job kündigen. Symbolfoto. picture alliance/dpa | Danny Gohlke

In Teil zwei unserer Reihe „Wie die Pflegekräfte im Saarland mit Füßen getreten werden“ haben wir uns mit der 42-jährigen Judith (Name und Alter von der Redaktion geändert) unterhalten. Die mehrfache Mutter hat noch bis vor wenigen Monaten in einem saarländischen Krankenhaus gearbeitet, bis ihr schließlich alles zu viel wurde. Details zu ihrer früheren Arbeitsstelle möchte sie nicht nennen. Sie betont im Rahmen unseres Gesprächs mehrfach, dass sie nicht erkannt werden möchte.

Pflegekräfte kündigen ihre Jobs, „weil es nicht mehr anders geht“

Auf unsere Eingangsfrage, warum sie ihre Stelle als Pflegekraft gekündigt hat, antwortet Judith zunächst nur knapp: „Ganz einfach: weil es nicht mehr anders ging“. Schon jetzt merkt man der ehemaligen Pflegekraft an, dass dieser Schritt alles andere als leicht für sie war. Judith berichtet uns in der Folge von ihrem damaligen Arbeitsalltag. Sie besteht darauf, dass wir über diesen Teil nicht berichten. Deswegen möchten wir an der Stelle nur so viel verraten: Obwohl Judith nicht die erste Pflegekraft ist, die uns von ihrem schwierigen Arbeitsalltag erzählt hat, übertreffen die Schilderungen von ihr alles, was uns bislang sonst so zugetragen worden ist.

Kündigung wegen Verantwortungsgefühl nicht einfach

Danach schildert uns Judith, wie schwierig es für sie war, zu kündigen. „Das war ein langer Prozess. Schon vor Corona war ich nicht immer zufrieden mit meinem Job, weil ich oft das Gefühl hatte, zu wenig Zeit für die Patienten zu haben. Die taten mir dann immer leid.“ Durch Corona habe sich der psychische Druck dann extrem verschärft. „Ich war während den ersten beiden Corona-Wellen schon oft am Rande meiner Kräfte. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich da schon gerne hingeschmissen. Aber ich hatte stets das Gefühl: ‚Wenn du jetzt gehst, dann bricht hier alles richtig zusammen‘. Es war zu der Zeit also eigentlich nur noch eine Art Pflichtgefühl, das mich hat weitermachen lassen.“

Pflegekräfte befinden sich in emotionaler Zwickmühle

Judiths Erzählungen beschreiben äußerst treffend die emotionale Zwickmühle, in der sich die Pflegekräfte in den Krankenhäusern befinden. Viele sind sich zwar bewusst, dass sie das so nicht mehr weitermachen können, gehen aber aus reinem Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Patient:innen deutlich über ihre körperliche und seelische Belastungsgrenze hinaus. So auch Judith.

„Ich habe mehr als nur einmal im Auto geweint“

Die 42-Jährige trug nicht nur bei ihrer Arbeit, sondern als mehrfache Mutter auch noch in ihrem Privatleben viel Verantwortung. Sie erzählt uns, dass die Belastung in ihrem Job sich irgendwann immer stärker im Privaten bemerkbar gemacht hat. „Manchmal wurden mir kleine Sachen wie Einkaufen zu viel. Es wurde alles Stück für Stück schwerer, bis dann kleinere Zusammenbrüche erfolgt sind. Ich habe mehr als nur einmal im Auto geweint“.

In den kurzen Zeiten allein im Auto habe Judith damals oft den ganzen Druck herausgelassen, während sie bei der Arbeit und vor ihrer Familie weiter funktioniert habe. „Doch irgendwann habe ich dann den Punkt erreicht, dass ich es nicht mehr verstecken konnte. Ich bekam einen Heulkrampf vor meinem Mann und meinen Kindern. Das war dann auch der Zeitpunkt, an dem ich verstanden habe, dass es so nicht weitergehen kann.“

„Ich musste unbedingt vor der nächsten Corona-Welle kündigen“

Zu dieser Zeit war das Corona-Infektionsgeschehen sehr niedrig, was es Judith leichter machte, ihre Kündigung dann tatsächlich einzureichen. „Ich musste unbedingt vor der nächsten Corona-Welle kündigen. Mitten in einer Welle wäre ich den Schritt vielleicht wieder nicht gegangen. Ich wollte da raus, bevor ich mich wieder sozusagen von der Situation erpresst fühle.“

So geht es Judith heute

Auf die Frage, wie es ihr jetzt geht, sagt Judith, dass sie sehr erleichtert, aber auch immer noch unglaublich müde sei. „Irgendwie spüre ich jetzt erst so richtig, wie erschöpft ich wirklich bin. Durch die frühere Hetzerei ist mir oft gar nicht aufgefallen, wie platt ich bin.“ Inzwischen hat die ehemalige Pflegekraft eine Therapie angefangen. Natürlich auch, um besser auf sich zu achten.

Situation in der Pflege: „Es muss sich etwas ändern“

Judith erklärt zum Abschluss unseres Gesprächs noch einmal, wie wichtig es für sie ist, dass die Leute anhand ihres konkreten Beispiels erkennen, wie schlimm die Lage in den Kliniken ist. Sie richtet sich dabei vor allem an die Politik. „Wer die Rahmenbedingungen für Pflegekräfte festlegt, muss dringend verstehen lernen, dass da Menschen und keine Maschinen arbeiten. Wenn sich nichts ändert, macht ihr die Leute alle krank, die eigentlich für die Kranken da sein sollten. Jetzt wirklich: Es muss sich etwas ändern!“.

Weitere Pflegekräfte aus dem Saarland schildern uns ihre Situation

Judith ist nicht die einzige (ehemalige) Pflegekraft, mit der wir gesprochen haben. In unserem ersten Teil von „Wie die Pflegekräfte im Saarland mit Füßen getreten werden“, hatten wir uns mit Hannah unterhalten, die uns einen Einblick in ihren Arbeitsalltag gewährt hat. Den ausführlichen Bericht dazu findet ihr unter: „Wie die Pflegekräfte im Saarland mit Füßen getreten werden: ‚Da platzt mir die Hutschnur'“. Ein weiterer Teil folgt in den nächsten Tagen.

Verwendete Quellen:
– eigene Recherche