„Monumentales“ Versagen: Nach der Katastrophe wächst Kritik am Alarmsystem

Mindestens 117 Menschen im Kreis Ahrweiler sind tot geborgen. Aber noch immer werden viele Menschen vermisst. Bundesinnenminister Seehofer zeigt sich an der Ahr betroffen vom Ausmaß der Schäden.
In Rheinland-Pfalz kamen mindestens 117 Menschen beim Hochwasser ums Leben. Foto aus Ahrweiler vom Samstag: Thomas Frey/dpa-Bildfunk
In Rheinland-Pfalz kamen mindestens 117 Menschen beim Hochwasser ums Leben. Foto aus Ahrweiler vom Samstag: Thomas Frey/dpa-Bildfunk
In Rheinland-Pfalz kamen mindestens 117 Menschen beim Hochwasser ums Leben. Foto aus Ahrweiler vom Samstag: Thomas Frey/dpa-Bildfunk
In Rheinland-Pfalz kamen mindestens 117 Menschen beim Hochwasser ums Leben. Foto aus Ahrweiler vom Samstag: Thomas Frey/dpa-Bildfunk

Nach der Hochwasserkatastrophe an der Ahr hat der Landkreistag Rheinland-Pfalz neue Sirenensignale gefordert, damit die Menschen in Risikogebieten rechtzeitig gewarnt werden. „Die digitale Alarmierung funktioniert nicht, wenn kein Ton da ist“, sagte am Montag (19. Juli 2012) der Geschäftsführende Direktor des Landkreistags, Burkhard Müller. Die etablierten Signale etwa zum Fliegeralarm oder zum ABC-Alarm bei einem Angriff mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen seien nicht mehr zeitgemäß. „Ich halte vier bis fünf neue Signale für zwingend erforderlich.“ Dazu sollte auch ein Signal gehören, sich auf keinen Fall in Kellerräumen aufzuhalten.

Seehofer: Warnmeldungen haben funktioniert

Der Katastrophenschutz in Deutschland sei gut aufgestellt, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Montag bei einem Besuch in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Bund, Länder und Kommunen müssten sich aber auch gemeinsam Gedanken machen, welche Lehren aus dem Krisenmanagement zu ziehen seien. „Ich schließe nicht aus, dass wir das ein oder andere verbessern müssen.“ Aber die Warnmeldungen hätten funktioniert.

Die Verantwortung für den Katastrophenschutz in Friedenszeiten liege bei den Ländern und den Landkreisen. Seit einigen Monaten würden die Leistungen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) für die Länder verbessert.

BBK-Chef: Genaue Katastrophen-Prognose schwierig

BBK-Präsident Armin Schuster sagte am Sonntagabend im „heute journal“ des ZDF: „Der Deutsche Wetterdienst hat relativ gut gewarnt.“ Das Problem sei, dass man oft eine halbe Stunde vorher noch nicht sagen könne, welchen Ort es mit welcher Regenmenge treffen werde. „Wir haben 150 Warnmeldungen über unsere Apps, über die Medien ausgesendet“, sagte Schuster. Er verwies darauf, dass die Warn-App Nina des BBK neun Millionen Nutzer:innen habe. Wo die Menschen in den Hochwassergebieten durch Sirenen gewarnt worden seien und wo nicht, könne er im Moment nicht sagen.

Freie Wähler: „Versagen in Meldeketten“

Die rheinland-pfälzische Landtagsfraktion der Freien Wähler sprach am Montag von einem „Versagen in Meldeketten“. Der Fraktionsvorsitzende Joachim Streit schloss sich dem Vorwurf der britischen Wissenschaftlerin Hannah Cloke an, die den Behörden ein „monumentales“ System-Versagen in der Flutkatastrophe vorwarf. Cloke war am Aufbau des EFAS (European Flood Awareness System) beteiligt, das nach den verheerenden Überschwemmungen an Elbe und Donau im Jahr 2002 gegründet wurde. Die AfD-Fraktion forderte einen Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe. Die Landesregierung hatte am Sonntag auf das rasante Tempo verwiesen, mit dem Wassermassen alles mitgerissen hatten.

117 Tote, mehr als tausend Vermisste

Bis Montag wurden nach Angaben des rheinland-pfälzischen Innenministers Roger Lewentz (SPD) 117 Menschen tot geborgen. Zu den Vermisstenmeldungen sagte Lewentz: „Wir sind insgesamt immer noch in einem vierstelligen Bereich.“ Die Zahl der in der Katastrophe ums Leben gekommenen Menschen steige weiter an. „Und wenn Sie diese Verwüstungen hier sehen, dann können Sie sich vorstellen, dass wir noch weitere tote Menschen finden werden.“ Die Polizei habe am Montag begonnen, „Planquadrat für Planquadrat in die Häuser hineinzugehen“.

Mobilfunksysteme funktionieren noch nicht

Die Suche nach Vermissten sei nach wie vor schwierig, weil „Daten und Mobilfunksysteme zusammengeklappt“ seien, sagte Lewentz. Jede Meldung müsse einzeln abgearbeitet werden. Bis zu 1.200 Polizeibeamt:innen seien im Einsatz. „Wir sind eingestellt auf eine enorm lange Lage. Das wird nicht in Wochen zu bewältigen sein, sondern wir gehen von Monaten aus“, sagte der Innenminister.

Seehofer: „Unfassbare Tragödie“

„Wir erleben in diesen Tagen eine unfassbare Tragödie„, sagte Bundesinnenminister Seehofer. Es handele sich um eine Ausnahmesituation, „die wir auch bei aller Anstrengungen vor Ort nur in einem großen nationalen Kraftakt bewältigen können“. Die Kosten für den Wiederaufbau schätzte er auf mehrere Milliarden Euro.

Mobile Trinkwasseranlagen gebaut

In Begleitung von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Lewentz machte sich Seehofer auch ein Bild von Einsätzen wie dem Aufbau mobiler Trinkwasseranlagen durch das Technische Hilfswerk (THW). Diese können 30.000 Liter Wasser pro Stunde aufbereiten und somit Tausende von Menschen in der Region versorgen.

Ministerin fordert Hilfen vom Bund

Die rheinland-pfälzische Mobilitätsministerin Anne Spiegel (Grüne) forderte vom Bund direkte Mittel zur Wiederherstellung zerstörter Bahnstrecken im Katastrophengebiet. „Eisenbahnbrücken sind zerstört, Schienen unbefahrbar – bis heute sind vor allem die Ahrtalbahn und Eifelstrecke weitgehend unbenutzbar und deshalb gesperrt“, teilte Spiegel in Mainz mit. Die Wiederherstellung werde nach erster Einschätzung Monate bis Jahre dauern.

Verwendete Quellen:
– Deutsche Presse-Agentur