Mini-Gemeinden wie Herbstmühle stehen bei Europawahl vor Herausforderungen

Einige kleine Gemeinden in Rheinland-Pfalz dürfen am Sonntag die Stimmen zur Europawahl nicht selbst auszählen. Sie müssen die Wahlurne zur Nachbargemeinde bringen. Was steckt dahinter?
21 Einwohner:innen hat der Eifelort Herbstmühle. Die Stimmabgabe für die Europa- und die Kommunalwahl findet im Wohnzimmer des Ortsbürgermeisters statt. Foto: Harald Tittel/dpa
21 Einwohner:innen hat der Eifelort Herbstmühle. Die Stimmabgabe für die Europa- und die Kommunalwahl findet im Wohnzimmer des Ortsbürgermeisters statt. Foto: Harald Tittel/dpa

In etlichen Mini-Gemeinden in Rheinland-Pfalz wird am Sonntag im Wohnzimmer gewählt. „Wir haben kein Gemeindehaus“, sagt Ortsbürgermeister Bruno Schoos (parteilos) in Herbstmühle im Eifelkreis Bitburg-Prüm. Daher stelle er – wie auch schon oft zuvor – sein Wohnzimmer als Wahllokal zur Verfügung. „Es sind ja nur ein paar Wähler, aber wir müssen das Wahlbüro von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr geöffnet haben.“ Der Ort nahe der luxemburgischen Grenze zählt 21 Einwohner:innen.

Zwei Wahlurnen stehen bereit: eine alte aus Holz für die Kommunalwahlen. Für die Europawahl habe er eine Kartonbox gebastelt, erzählt der 63-Jährige. Und als „Wahlkabine“ dienen Rechtecke aus Spanplatten, die er als Sichtschutz auf einen Tisch stellt.

Herausforderung Europawahl

Doch etwas ist in Herbstmühle bei dieser Wahl anders als sonst: Erstmals dürfen die Stimmzettel zur Europawahl nicht vor Ort ausgezählt werden. Denn die Europawahlordnung sieht laut Landeswahlleiter vor, dass die Auszählung von Urnen, in denen weniger als 30 Stimmzettel sind, gemeinsam mit den Stimmen einer Nachbargemeinde erfolgen muss. Zur Wahrung des Wahlgeheimnisses, wie es zur Begründung heißt.

„Ein bisschen ärgere ich mich schon darüber“, sagt Schoos. „Weil ich absolut keinen Grund dafür sehe, dass wir die nicht auszählen dürfen.“ Und weil es extra Zeit koste. Konkret bedeute es, dass nach der Wahl drei Personen vom Wahlvorstand ins benachbarte Rodershausen fahren müssten, um die Urne oder einen versiegelten Umschlag mit den Stimmzetteln zur Auszählung dort abzugeben. Erst nach der Rückkehr könne man dann in Herbstmühle mit der Auszählung der Kommunalwahlen beginnen.

Kein Einzelfall

Für kleine Gemeinden sei vor allem die Europawahl „herausfordernd“, sagt der Sprecher des Landeswahlleiters in Bad Ems, Jürgen Hammerl. Man gehe davon aus, dass es „einige kleine Gemeinden“ gibt, die die Urnen zur Auszählung in die Nachbargemeinde bringen müssten. Ob mehr oder weniger als 30 Stimmzettel in der Urne liegen, hängt neben der Zahl der wahlberechtigten Einwohner auch von der Wahlbeteiligung und der Briefwahl ab.

Die meisten Mini-Gemeinden liegen in der Eifel

Mini-Gemeinden mit bis zu 30 Einwohnern gibt es in Rheinland-Pfalz 17 Stück, die vor allem in der Eifel liegen. Die bundesweit kleinste Kommune Dierfeld findet sich im Kreis Bernkastel-Wittlich: Sie zählte laut Statistischem Bundesamt Ende 2022 nur neun Einwohner:innen. Und im Kreis Bad Kreuznach zählt Heinzenberg (25 Einwohner) bei Kirn zu den Minis, wie aus einer Zusammenstellung des Statistischen Landesamtes in Bad Ems hervorgeht.

„Unglückliche Lösung“

Der Ortsbürgermeister von Heinzenberg, Stephan Ostgen (parteilos), findet die Mindestzahl zum Auszählen vor Ort „sehr unglücklich“ und „praxisfremd“. In den vergangenen Jahrzehnten habe man immer die Stimmen zur Europawahl vor Ort ausgezählt. „Und wir hatten immer unter 30 Urnen-Wähler.“ Und das sei nie ein Problem gewesen. Kritisch sehe er auch, dass die Briefwähler bei den Urnen-Stimmen nicht eingerechnet würden, da diese beim Kreis ausgezählt würden.

Eine Herausforderung seien auch die Vorgaben zu Besetzung der Wahlvorstände und zur Abwicklung der Wahl, sagt der hessische Regierungsbeamte. Kleine Gemeinden hätten oft Probleme, die Wahlvorstände zu besetzen. In Heinzenberg bestehe der Vorstand aus sechs Personen. Da drei davon die Urne nach Kellenbach fahren müssten, könnte die Auszählung der Kommunalwahl erst nach deren Rückkehr ins Gemeindehaus starten. Denn dafür müssten mindestens fünf Mitglieder des Wahlvorstandes anwesend sein, sagt Ostgen.

Auszählung steht teils noch auf der Kippe

In Burg in der Südeifel mit rund 20 Einwohnerinnen und Einwohnern gibt es auch bereits einen Plan. „Wir müssen mit Wahlvorsteher, Vertreter und Schriftführer nach Mettendorf fahren“, sagt Ortsbürgermeisterin Ingrid Billen (parteilos). Der Ort sei nur drei Kilometer entfernt, aber: „Das stockt ein bisschen das Auszählen“, sagt die 68-Jährige. Es gebe aber auch etliche Gemeinden, die noch nicht wüssten, ob sie auszählen dürften oder nicht.

Auch bei Billen zieht das Wahllokal in der Stube ein. Die Wahlurnen würden auf einem kleinen Tischchen platziert. „Alles geht genau nach Vorschrift“, sagt Billen. Im Wohnzimmer wählen – das sei für viele kleinen Gemeinden, die keine Gemeinschaftshäuser hätten, Usus. Der Wahltag habe es in sich: Man müsse alles beachten, was auch für große Gemeinden gelte, auch wenn sehr viel weniger auszuzählen sei. „Es muss alles genauso genau sein.“

Wenn am Abend auch alle Niederschriften zur Kommunalwahl erledigt seien, müsse sie noch nach Neuerburg fahren. Dort gebe sie dann den Computer, der der Gemeinde zur Wahl zur Verfügung gestellt werde, mitsamt Drucker und Stick ab. Eine digitale Übermittlung sei nicht erlaubt, sagt auch Ostgen in Heinzenberg. Er werde die Sticks manuell in Kirn abgeben.

Viele kleine Gemeinden im Land

In Rheinland-Pfalz gibt es insgesamt rund 2.300 Gemeinden. Mehr als 1.000 Ortsgemeinden im Land haben weniger als 500 Einwohner:innen (Stand 30. Juni 2023). Rund 140 Gemeinden liegen unter 100 Einwohner:innen. Mehr als 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner haben 48 Kommunen.

Verwendete Quellen:
– Deutsche Presse-Agentur