Rund 9.000 Menschen in Deutschland haben HIV, ohne es zu wissen

HIV ist aus der öffentlichen Wahrnehmung nahezu verschwunden. Die Infektionsgefahr ist allerdings weiter da. Ein Beitrag von Bèatrice Gospodinov, die in Saarbrücken eine Schwerpunkt-Praxis für HIV-Infektionen führt.
Das Foto zeigt ein Kondom
Verhütung mit Kondom schützt zuverlässig vor einer HIV-Infektion. Foto: Studio KIVI/Adobe Stock
Das Foto zeigt ein Kondom
Verhütung mit Kondom schützt zuverlässig vor einer HIV-Infektion. Foto: Studio KIVI/Adobe Stock

HIV, die Infektion

In Deutschland leben knapp 90.000 Menschen mit einer HIV-Infektion, und die meisten werden in Schwerpunktpraxen erfolgreich behandelt. Doch rund 9.000 Menschen davon wissen nicht, dass sie erkrankt sind.

Wie wird HIV behandelt?

In den ersten Jahren der Epidemie gab es keine Medikamente, und die Diagnose kam einem Todesurteil gleich. In den 1990er Jahren wurden die ersten antiretroviralen Substanzen mit – zunächst – mäßigem Erfolg eingesetzt. Die Einführung einer Kombinationstherapie mit drei antiretroviralen Medikamenten führte zum Erfolg. Heute kann – bei rechtzeitiger Diagnose – ein HIV-Infizierter ein ganz normales Leben führen, arbeiten und Kinder zeugen. Die Therapien sind gut verträglich und häufig in einer einzigen Tablette verarbeitet. Trotzdem ist HIV nach wie vor eine ernste Erkrankung, vor der man sich sorgfältig schützen sollte.

Wie stecke ich mich an?

Das HIV-Virus (Human Immunodeficiency Virus) wird durch Körperflüssigkeiten, die eine hohe Anzahl an Viren enthalten, weitergegeben. Das passiert beim Sex, beim Drogenkonsum (gemeinsame Bestecke) und während der Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit. Wie gerade erwähnt, können nur Infizierte mit einer hohen Virusmenge das Virus übertragen. Als besonders problematisch gelten deshalb Menschen, die nichts von ihrer Infektion wissen und vor allem frisch Infizierte, die in diesem Stadium der Infektion eine besonders hohe Viruszahl produzieren.

Wie schütze ich mich?

„Safer Sex“ schützt vor der HIV-Infektion beim Sex. Es werden dabei Kondome, Femidome oder eine PrEP (Präexpositionsprophylaxe) angewendet. Bei der PrEP wird ein antiretrovirales Medikament als Vorsorge eingenommen. Die PrEP wird nach Aufklärung ärztlich verordnet. In der Schwangerschaft wird jede Frau auf HIV getestet, sodass im Falle einer Infektion sofort eine Therapie eingeleitet werden kann. Die Mutter/Kind Übertragung in Deutschland liegt unter 2 Prozent.

Bei ungeschütztem Kontakt mit einem Partner, der als riskant erscheint, sollte sofort (innerhalb 10 Stunden) ein Arzt aufgesucht werden, um die Notwendigkeit einer PEP (Postexpositionsprophylaxe) zu klären. Hier wird ein Medikament eingenommen, welches das Eindringen des Virus in die Wirtszellen verhindert. Ein HIV-positiver Patient, dessen Viruslast (Anzahl der Viren im Blut) „unter Nachweis“ ist, gilt als nicht ansteckend. Voraussetzung ist, dass keine andere STDs (sexuell übertragbare Erkrankungen) vorliegen und die medikamentöse Therapie sorgfältig durchgeführt wird.

Was passiert bei der Infektion?

Die HI-Viren vermehren sich in Zellen der Immunabwehr, die sogenannten CD4-Zellen und zerstören diese. Die Vermehrungsgeschwindigkeit der Viren ist abhängig von der Abwehrfunktion des Infizierten Organismus und vom Virus. Das Abwehrsystem ist in der Lage, für Nachschub der CD4 und anderer Abwehrzellen zu sorgen, bis das Gleichgewicht durch die Mutationsfähigkeit des HI-Virus kippt. Der Begriff „Mutation“ ist durch die Covid Infektion in der Leserschaft bekannt. Das Virus verändert sich und untergräbt dadurch die Arbeit der Killerzellen. Es entwickelt sich schließlich das Vollbild der Erkrankung AIDS (acquired immune deficiency syndrome). Der Fortschritt der Erkrankung geht parallel zum Abfall der CD4 Abwehrzellen. Stadium 1 (CD4 über 500/µl), Stadium 2 (CD4 zwischen 200 und 499/µl) und Stadium 3 als AIDS bezeichnet (CD4 unter 200). Ein AIDS-Stadium bedeutet, dass die CD4-Zellzahl unter 200/µl gefallen ist oder eine AIDS-definierende Erkrankung vorliegt. AIDS-definierende Erkrankungen sind zum Beispiel Lymphome, Kaposi-Sarkome und viele mehr, die nur bei starker Abwehrschwäche auftreten können.

Was macht HIV mit der Gesellschaft?

Der Umgang der Gesellschaft mit HIV-infizierten Menschen ist der Wissenschaft nicht gefolgt. Diskriminierung und Ausgrenzung sind im Jahre 2023 weiterhin an der Tagesordnung. Aufklärung über die Krankheit kann möglicherweise die irrationale Angst von Ansteckung und Vorurteile gegenüber Homosexualität beseitigen. Bereits 2008 wurde das „EKAF-Statement“ (Eidgenössische Kommission für AIDS-Fragen) veröffentlicht unter der Ägide von Professor Pietro Vernazza mit der Botschaft „undetectable = untransmittable“: wenn man die Viruslast nicht mehr feststellen kann, ist keine Übertragung möglich.

Was sind unsere Ziele?

Aktuell liegt die Zahl der nicht diagnostizierten HIV-Infektionen in Deutschland laut Schätzung des RKI bei rund 9.000! Und jedes Jahr infizieren sich etwa weitere 2.000 Menschen. Das ist eine unbefriedigende Situation.

Das Programm UNAIDS der Vereinten Nationen hatte sich für 2014 die sogenannten 90-90-90-Ziele vorgenommen. Ziel ist, dass 90 Prozent der Infektionen diagnostiziert werden, 90 Prozent dieser Menschen ein Medikament erhalten und 90 Prozent durch diese Therapie unter der „Nachweisgrenze“ liegen. Dieses Ziel ist in 2023 immer noch nicht erreicht, und die aktuelle politische Lage läßt eine eher negative Entwicklung befürchten.

Das Foto zeigt BÈATRICE GOSPODINOV

BÈATRICE GOSPODINOV ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Infektiologin (DGI). Sie führt in Saarbrücken eine Schwerpunktpraxis für HIV-Infektion. Mehr Infos unter www.praxis-gopro.de.

Dieser Beitrag erscheint in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland. Mehr unter: www.kvsaarland.de