Warum man die Hüfte von Säuglingen per Ultraschall untersuchen lassen sollte

"Sonographisches Hüftscreening": Das mag sich für viele von uns erst mal recht befremdlich, wenn nicht hochtrabend-wissenschaftlich anhören. Ist es aber nicht, es ist keine Hexerei, und das soll dieser Artikel erklären. Wovon reden wir also?
Die Untersuchung dient zur Früherkennung der angeborenen Hüftdysplasie. Foto: Adobe Stock/Oksana Kuzmina
Die Untersuchung dient zur Früherkennung der angeborenen Hüftdysplasie. Foto: Adobe Stock/Oksana Kuzmina
Die Untersuchung dient zur Früherkennung der angeborenen Hüftdysplasie. Foto: Adobe Stock/Oksana Kuzmina
Die Untersuchung dient zur Früherkennung der angeborenen Hüftdysplasie. Foto: Adobe Stock/Oksana Kuzmina

Nun, es handelt sich um eine Ultraschall-Untersuchung der Hüften neugeborener Kinder, die – wenn irgend möglich – bis zur abgeschlossenen sechsten Lebenswoche durchgeführt werden sollte. Und eines gleich vorneweg: Nein, die Untersuchung ist nicht belastend oder gar schmerzhaft, und nein, es ist keine Strahlenbelastung damit verbunden.

Wer führt diese Untersuchung durch?

In aller Regel wird es sich um Ärztinnen und Ärzte der Fachrichtung Kinder- und Jugendmedizin handeln, in selteneren Fällen und fast ausschließlich im Klinikbereich auch um die Fachrichtung Radiologie. In jedem Fall ist für die Durchführung dieser Untersuchung eine eigene Fachkunde notwendig, die nach Absolvieren spezieller Kurse und Nachweis bestimmter Untersuchungszahlen erteilt wird. Im Rahmen einer bundeseinheitlichen „Ultraschallvereinbarung“ besteht die Verpflichtung einer standardisierten Dokumentation, zusätzlich wird die Qualität der erstellten Bilder regelmäßig von einer Fachkommission überprüft: Strenges Qualitätsmanagement also!

Warum wird die Untersuchung für alle Säuglinge empfohlen?

Es geht um die Früherkennung der angeborenen Hüftdysplasie, einer eventuell folgenschweren Unreife der knöchernen Hüftpfanne. Ohne Behandlung der Hüftdysplasie ist eine dauerhafte Schädigung von Hüftkopf oder Gelenkpfanne möglich. Eine spätere Gehbehinderung sowie vorzeitige Abnutzungserscheinungen sind eventuelle Folgen. Auch eine Operation mit Ersatz des Hüftgelenkes durch eine Hüftgelenksprothese („TEP“: Totalendoprothese) im Erwachsenenalter kann die Konsequenz sein.

Um diese Zusammenhänge zu verstehen, schauen wir uns erst mal die Anatomie des Hüftgelenkes an. Wir haben eine Art Kugelgelenk vor uns. Genau gesagt: ein „Nussgelenk“. Unser knöchernes Becken setzt sich aus dem Kreuzbein (Os sacrum) und dem linken und rechten Hüftbein (Os coxae) zusammen.

Wie ist die Hüfte konstruiert?

Die beiden Hüftbeine bestehen bei Kindern aus drei Knochen, die bis ins Erwachsenenalter zusammenwachsen: dem Darmbein (Os ilium, auch Beckenschaufel oder -kamm genannt), dem Schambein (Os pubis) und dem Sitzbein (Os ischii). Auf der Vorderseite verbindet die Schambeinfuge (Symphyse) die linke und rechte Beckenhälfte miteinander. Auf der Rückseite befinden sich die beiden Kreuzbein-Darmbein-Gelenke (Iliosakralgelenke, kurz ISG). Sie verbinden den rechten und linken Darmbeinknochen mit dem Kreuzbein. Sie werden auch Sakroiliakalgelenke genannt.

Wo Darm-, Scham- und Sitzbein aufeinandertreffen, bilden sie die nach innen gewölbte Hüftpfanne. In ihr sitzt der runde Kopf des Oberschenkelknochens, der etwa zur Hälfte von der Hüftpfanne umfasst wird. Zusammen bilden Oberschenkelkopf (Hüftkopf) und Hüftpfanne das Hüftgelenk.

Alles gut! Die Untersuchung tut nicht weh.

Alles gut! Die Untersuchung tut nicht weh. Foto: Adobe Stock/Rawpixel.com

Bis diese komplizierte anatomische Struktur im jugendlichen Alter ihre endgültige Form erreicht hat, durchläuft sie einen langen Weg der Ausreifung. Experten gehen davon aus, dass bis zu 30 Prozent der Neugeborenen mit noch nicht ausgereiften Hüftgelenken auf die Welt kommen. Bei der großen Masse dieser Kinder reift das Hüftgelenk spontan aus, sodass sich später keine Funktionseinschränkung ergibt. Bei etwa zwei Prozent der Kinder unterbleibt diese „Nachreifung“ jedoch und bei etwa der Hälfte dieser Kinder ist die Reifungsstörung sogar so ausgeprägt, dass ein Herausspringen des Hüftkopfes aus seiner Gelenkpfanne droht, die Hüftluxation. Die Unreife der Säuglingshüfte ist sehr unterschiedlich ausgeprägt, woraus sich sehr unterschiedliche Therapiemaßnahmen ableiten.

Welche Arten der Hüft-Unfreifen gibt es?

Die verschiedenen Ausprägungen der Hüft-Unreife werden nach dem Pionier des Hüftultraschalls, dem österreichischen Orthopäden Prof. Dr. Reinhard Graf, benannt. Dieser hatte das Verfahren Anfang der 80er-Jahre entwickelt. Noch zu Beginn meiner eigenen Facharztausbildung Anfang ab 1990 handelt es sich um ein durchaus exklusives Verfahren, das von nur wenigen „Eingeweihten“ beherrscht wurde. Seither hat das Verfahren sich derart flächendeckend durchgesetzt, dass es heute zum Rüstzeug jeder Kinderärztin und jeden Kinderarztes gehört. Nachfolgend die „Hüfttypen nach GRAF“:

Typ I
entspricht der normal entwickelten und ausgereiften Hüfte

Typ II (IIa, IIb, IIc und D)
weist eine Reifungsverzögerung der Hüfte mit Übergang zur Dysplasie auf

Typ III
ist bereits eine dezentrierte Hüfte (Dysplasie mit Fehlstellung)

Typ IV
entspricht einer vollständigen Auskugelung (Luxation) des Hüftgelenkes.

Die Behandlung der Hüftdysplasie hängt vom Schweregrad der Veränderungen ab. Zur Verfügung stehen sowohl konservative als auch operative Maßnahmen. Die konservative Behandlung einer Hüftdysplasie beziehungsweise Hüftluxation besteht aus drei Säulen: Ausreifungsbehandlung, Reposition und Retention.

Welche Behandlungsmethoden helfen?

Die Ausreifung des Hüftgelenks wird durch „Breites Wickeln“ gefördert. Dem Baby wird über die normale Windel zusätzlich eine Einlage, wie eine dicke Baumwollwindel oder ein kleines Handtuch, zwischen die Beine gelegt. Diese Einlage wird zu einer etwa 15 Zentimeter breiten Bahn gefaltet und der Body darüber verschlossen: Schon hält’s!

Bei einer höhergradigen Hüftdysplasie, bei der aber der Hüftkopf noch in der Gelenkpfanne liegt, erhält das Baby eine angepasste Spreizhose. Früher benutzte man standardmäßig die sogenannte „Spreizhose nach MITTELMEIER“, heute bevorzugt man meist die „Tübinger Schiene“. Die Behandlungsdauer hängt vom Schweregrad der Dysplasie ab und wird bis zur Ausbildung einer normalen Hüftgelenkpfanne fortgeführt. Der Arzt überprüft diesen Prozess in regelmäßigen Abständen mit dem Ultraschall.

Bei der schwersten Form der Hüftdysplasie, der Hüftluxation, steht der Hüftkopf außerhalb der Gelenkpfanne und muss zurückgebracht werden. Hier steht mit der sogenannten Overhead-Extension eine sehr schonende, schmerzlose Methode zur Verfügung. Dabei liegt das Kind auf dem Rücken, während seine Beine an Seilen und gespreizt in die Luft gezogen werden. Meist wird dann in Narkose ein Becken-Bein-Gips in Sitz-Hock-Stellung angelegt. Dadurch kann die Hüfte nicht mehr ausrenken und in der richtigen Stellung so nachreifen, dass sie stabil ist. Eine Operation ist in diesem frühen Lebensalter die große Ausnahme, kann aber – bei ungenügender Nachreifung – später durch die Abnutzung des Hüftgelenkes notwendig werden.

Ich hoffe, hiermit hinreichend und vor allem verständlich dargelegt zu haben, dass uns mit der Ultraschall-Untersuchung der Säuglingshüfte eine sehr aussagekräftige und gleichzeitig schonende Untersuchungsmethode zur Verfügung steht. Angesichts der vorgeschilderten Konsequenzen einer nicht ausreichenden Hüftreifung für das spätere Leben sollten junge Eltern nicht zögern, dieses Angebot der Kinderärztinnen und Kinderärzte anzunehmen.

Herzliche Grüße an Sie und Ihre Familien, bleiben Sie und Ihre Lieben gesund!

Ihr
Dr. med. Hagen Reichert

Dr. med Hagen Reichert

Dr. med. Hagen Reichert ist Arzt für Kinder- und Jugendmedizin mit dem Schwerpunkt Kinderkardiologie in Homburg. Nach Tätigkeiten an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und am Uniklinikum Homburg ist er seit 1998 niedergelassener Arzt in einer Gemeinschaftspraxis. Er ist Spezialist für Reise- und Tropenmedizin und hat die Fachkunde „Arzt im Rettungsdienst“. Neben seiner Praxistätigkeit ist er als Dozent an der Universität des Saarlandes, als Partner-Arzt für das Landstuhl Regional Medical Center der US-Streitkräfte und als Oberfeldarzt der Reserve für den Sanitätsdienst der Bundeswehr tätig.

Dieser Beitrag erscheint in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland. Mehr unter: www.kvsaarland.de