Corona-Zahlen steigen: Droht eine Frühsommerwelle?

Mit steigenden Corona-Zahlen im Herbst rechnen nach zwei Pandemie-Jahren längst alle. Nun klettern die Inzidenzen jedoch bereits im Frühsommer deutlich in die Höhe. Ein Grund zur Sorge? Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Trotz Sommer sinken die Corona-Zahlen in diesem Jahr wohl nicht auf einstellige Werte. Symbolfoto: Frank Rumpenhorst/dpa-Bildfunk
Trotz Sommer sinken die Corona-Zahlen in diesem Jahr wohl nicht auf einstellige Werte. Symbolfoto: Frank Rumpenhorst/dpa-Bildfunk

In den vergangenen beiden Jahren verliefen die Sommermonate der Pandemie entspannt. Die Zahlen sanken in den Keller und kletterten erst im Herbst wieder in die Höhe. In diesem Jahr jedoch ist das Infektionsgeschehen deutlich unsteter. Die Inzidenzen steigen, das Robert Koch-Institut (RKI) warnt vor wachsendem Infektionsdruck. So antworten Expert:innen aus Wissenschaft und Medizin auf die wichtigsten Fragen:

Warum steigen die Zahlen wieder?

Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz ist am Dienstag (14. Juni 2022) mit einem Satz von 331,8 auf 447,3 gesprungen. Laut Expert:innen hat der Anstieg mehrere Gründe. Einerseits sei der Omikron-Subtyp BA.5 dafür verantwortlich, der in Deutschland aktuell zunimmt. „Die Untervariante BA.5 ist noch ansteckungsfähiger als alle Varianten zuvor, kann sich also auch unter den für das Virus widrigen Bedingungen im Sommer verbreiten“, so Epidemiologe Timo Ulrichs von der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin. Darüber hinaus könne die Variante nach derzeitigem Kenntnisstand dem Immunsystem entwischen, selbst wenn es schon Kontakt zu Omikron-Varianten hatte. Auch vollständig Geimpfte seien nicht vor einer Ansteckung sicher. „Das bedeutet, es kommt eine große Anzahl von Wirten für die Verbreitung in Frage.“

Fachleute rechnen nach Wellen in Ländern wie Portugal damit, dass auch hierzulande BA.5 bald dominant sein dürfte. Nach RKI-Daten von vor etwa zwei Wochen lag der Anteil bei etwa zehn Prozent. Laut Einschätzung des Generalsekretärs der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, dürfte er inzwischen deutlich höher sein.

Andererseits habe sich auch das Verhalten der Menschen geändert. Wie Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen erklärt, sind viele aufgrund der Lockerungen wieder mobiler und treffen mehr Menschen. Zugleich lassen sie Schutzmaßnahmen wie Masken fallen. Darüber hinaus liege die Impfung bei vielen bereits länger zurück. „Die Immunität hat im Schnitt abgenommen, vor schweren Erkrankungen sollte aber noch ein deutlicher Schutz vorhanden sein“, so Zeeb.

Droht eine richtige Frühsommerwelle – und wie könnte sie ablaufen?

Nach Einschätzung von Immunologe Watzl werde es in diesem Sommer keine einstelligen Inzidenzen geben – wie in den vergangenen Jahren. „Dafür ist Omikron zu ansteckend.“ Vielmehr würden sie bei einigen Hundert liegen. Watzl nimmt an, dass sich rund die Hälfte der Bevölkerung noch nicht mit Omikron infiziert hat. „Da die Impfung nicht so gut vor der reinen Ansteckung schützt, hat das Virus also noch ausreichend Potenzial, Menschen zu infizieren.“

Ob die neue Variante für Inzidenzen über 1.000 sorgen werde, sei noch nicht abzuschätzen. „Die Möglichkeit einer Sommerwelle besteht aber“, so Watzl. Auch Zeeb will keine Prognose über die Höhe der Frühsommerwelle treffen. So hohe Zahlen wie in Portugal seien nicht zwangsläufig zu erwarten.

Lässt sich so eine Welle irgendwie bremsen?

„Aus meiner Sicht ist es kaum möglich, außer mit sehr drastischen Maßnahmen aktuell steuernd einzugreifen“, meint Zeeb. Die Regierung solle insbesondere Menschen aus der Risikogruppe aktiv zu Booster-Impfungen aufrufen, um den Schutz zu optimieren. Ulrichs sieht als einzige Möglichkeit, um den Trend zu bremsen, die Wiedereinführung von Schutzmaßnahmen wie der Maskenpflicht. Laut Watzl fehlten dazu derzeit jedoch die rechtlichen Möglichkeiten.

Wie dramatisch ist der aktuelle Anstieg?

Die Zahlen erforderten Wachsamkeit, seien laut Fachleuten jedoch kein Grund zur Panik. Intensivmediziner Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf spricht etwa von einem „moderaten“ Anstieg der Infektionszahlen. „Es muss in der aktuellen Lage darum gehen, Erkrankung und nicht so sehr die reine Infektion zu verhindern. Daher ist eine Sommerwelle zunächst auch erst mal nicht besorgniserregend“, so Watzl. Besondere vulnerable Menschen müsse man jedoch konsequent schützen.

Nach Einschätzung von Zeeb werde es zwar mehr Infektionen geben, da BA.5 jedoch ähnlich verlaufe wie vorherige Omikron-Varianten, dürfte es meist bei milden Verläufen bleiben. Insgesamt könnte es bei einem deutlichen Anstieg jedoch wieder etwas mehr Hospitalisierungen und auch Todesfälle geben. Eine Überlastung des Gesundheitswesens stehe aus seiner Sicht allerdings nicht bevor.

Auch Kluge hält eine deutliche Belastung des Gesundheitssystems angesichts der moderaten Verläufe für unwahrscheinlich. Jedoch bedeute eine hohe Patient:innenzahl auch für Normalstationen eine deutliche Mehrbelastung – vor allem für Pfleger:innen. Laut Watzl könne es zudem bei Firmen durch viele Infektionen zu Ausfällen kommen.

Was bedeutet das für mich persönlich: Unbeschwertheit oder Vorsicht?

Was das individuelle Verhalten angeht, appellieren Expert:innen zur Selbstverantwortung. Es erwarte uns laut Zeeb ein Auf und Ab der Infektionszahlen. Ab Herbst würden diese dann wieder stetig steigen. Da umfassende Einschränkungen wegfielen, müsse jede:r bei Begegnungen mit vielen Menschen, insbesondere in Innenräumen und in öffentlichen Verkehrsmitteln, eigenverantwortlich Maske tragen. Zudem sollte der Impfschutz aktuell gehalten werden. Ulrichs befindet: „Ein bisschen mehr Vorsicht wäre hilfreich.“

Verwendete Quellen:
– Deutsche Presse-Agentur