„Housing First“ im Saarland: Projekt rettet Menschen aus der Obdachlosigkeit

Seit dem Sommer 2018 läuft das Modellprojekt „Housing first - Wohnen zuerst“ der Diakonie Saar. Mit ihrem Konzept möchte die Diakonie möglichst viele Menschen im Saarland nachhaltig aus der Obdachlosigkeit retten. Achim Ickler, einer der Verantwortlichen des Projekts, zieht nach einem halben Jahr die erste Bilanz.
"Housing First" der Diakonie-Saar will Obachdlosen im Saarland zu einer eigenen Wohnung verhelfen. Foto: Diakonie-Saar
"Housing First" der Diakonie-Saar will Obachdlosen im Saarland zu einer eigenen Wohnung verhelfen. Foto: Diakonie-Saar
"Housing First" der Diakonie-Saar will Obachdlosen im Saarland zu einer eigenen Wohnung verhelfen. Foto: Diakonie-Saar
"Housing First" der Diakonie-Saar will Obachdlosen im Saarland zu einer eigenen Wohnung verhelfen. Foto: Diakonie-Saar

Projekt „Housing first“ im Saarland

Seit Juni 2018 läuft im Saarland das Modellprojekt „Housing first – Wohnen zuerst“ der Diakonie Saar, das über die „Aktion Mensch“ sowie Eigenmittel der Diakonie finanziert wird. Ziel des Projekts ist es Menschen, die derzeit auf der Straße leben, möglichst nachhaltig aus der Obdachlosigkeit zu holen. Dazu soll für die Betroffenen zunächst geeigneter Wohnraum beschafft werden. Ist eine Wohnung gefunden, so sollen die Menschen auch nach dem Einzug tatkräftig unterstützt werden. „Die Annahme dieser Hilfe ist dabei stets freiwillig und unabhängig vom Verbleib in der Wohnung“, sagte Achim Ickler von der Diakonie Saar gegenüber SOL.DE. Inhalt und Ausmaß der Unterstützung sollen damit die Nutzer des Angebots bestimmen.

Das steht hinter dem Konzept „Housing first“

Das Konzept „Housing First“ wurde in den 90er Jahren in den USA entwickelt. Das Grundprinzip des Ansatzes besteht darin, Wohnungslose möglichst unmittelbar in geeigneten und bezahlbaren Wohnraum zu vermitteln und ihnen darauf aufbauend weitere Unterstützung anzubieten, deren Annahme grundsätzlich freiwillig und nicht mit dem Verbleib in der Wohnung verbunden ist. Denn verschiedene Studien haben belegt, dass Obdachlose, die schnell wieder eine Wohnung bekommen und dann im Alltag unterstützt werden, besser klar kommen als die Obdachlosen, die erst jahrelang in Wohnheimen gelebt haben und beweisen mussten, dass sie wohnfähig sind.

Anders als in den USA und im europäischen Ausland ist der Ansatz von „Housing first“ in Deutschland bislang kaum verbreitet und wird nun von der Diakonie Saar im Regionalverband Saarbrücken an den Standorten Saarbrücken und Völklingen unter den dortigen Rahmenbedingungen modellhaft erprobt und umgesetzt.

Erstes Fazit von „Housing first“ im Saarland

Nachdem das Projekt nun länger als ein halbes Jahr läuft, haben wir uns mit Achim Ickler, einem der Projektverantwortlichen unterhalten. Dieser zieht ein erstes Fazit auf SOL.DE-Nachfrage: „Die erste große Hürde stellte natürlich die Akquise von angemessenem und geeignetem Wohnraum dar. Wir können uns da bislang auf eine sehr gute Kooperation mit den beiden Wohnungsgesellschaften ‚Immobiliengruppe Saarbrücken‘ und ‚Allgemeine Bau Genossenschaft Völklingen 1904 e.V.‘ verlassen. Auch die Zusammenarbeit mit den bestehenden Angeboten der Wohnungslosenhilfe funktioniert gut.“

Achim Ickler führt das gelungene Netzwerk weiter aus: „Housing First vernetzt sich mit der ‚Aufsuchenden sozialen Arbeit‘, der Sozialberatung, ambulanten Diensten wie dem ‚Ambulant Betreuten Wohnen‘ und den ‚Ambulanten Hilfen‘, Angeboten zur Gesundheitsförderung wie der Medizinischen Grundversorgung, Suchtberatungsstellen und dem Drogenhilfezentrum, stationären Angeboten wie dem ‚Bruder-Konrad-Haus‘, der Notschlafstelle und der ‚Herberge zur Heimat‘ sowie tagesstrukturierenden Angeboten wie der ‚Wärmestube Saarbrücken e.V.‘.

Daneben kooperieren wir mit dem Diakoniekaufhaus Völklingen und dem Projekt ‚BIWAQ Saarbrücken‘. Auch die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter Saarbrücken verläuft unkompliziert. Diese Netzwerkkontakte sollen in 2019 verstetigt und weiter ausgebaut werden. Obwohl das Projekt nahezu ausgelastet ist, wird weiterer Wohnraum gesucht. Interessierte Vermieter können sich gerne mit dem Projekt in Verbindung setzen, um in einem persönlichen unverbindlichen Gespräch weitere Einzelheiten zu erfahren.“

Bereits sechs Personen erfolgreich vermittelt

Bis Ende Januar konnte das Modellprojekt bislang sechs Personen (darunter fünf Männer und eine Frau) in geeignete Wohnungen vermitteln. Von den Betroffenen waren fünf Personen zu diesem Zeitpunkt wohnungslos, bei einer Person stand die Wohnungslosigkeit unmittelbar bevor.

Eine dieser Personen ist eine aus dem Saarland stammende, 49-jährige Frau, die seit 2016 in einer stationären Einrichtung für chronisch Kranke in Berlin lebte. Da diese Betreuung und damit auch der Verbleib in der trägereigenen Wohnung nach maximal 2 Jahren enden und es sicher war, dass sie keine Chance hat, auf dem sehr angespannten Markt in Berlin eine Wohnung zu finden, entschloss sie sich Ende 2018, wieder ins Saarland zurückzukehren, wo auch ihre Mutter und ihre Tochter samt ihrem Enkelkind leben. Die Anlaufstelle ‚Wärmestube Saarbrücken‘ stellte den Kontakt zur Wohnungslosenhilfe und zu „Housing first“ her. Über das Projekt stand zu diesem Zeitpunkt eine angemessene Wohnung zur Verfügung. Die Diakonie Saar hat der Frau nicht nur zu der Wohnung verholfen, sondern sie darüber hinaus auch bei der Beschaffung von Möbeln unterstützt und sie bei notwendigen Behördengängen begleitet.

Projekt wird im Saarland gut angenommen

Insgesamt wird das Modellprojekt „Housing First“ im Saarland sehr gut angenommen. Laut Achim Ickler liegt das vor allem auch an der Niedrigschwelligkeit des Projektes: „Anders als bei bestehenden ambulanten Diensten werden keine Vorbedingungen an die Betroffenen gestellt. Das Projekt richtet sich demzufolge auch in erster Linie an diejenigen Wohnungslosen, die von den bestehenden Angeboten bislang nicht erreicht wurden oder bereits darin gescheitert sind, weil sie entweder die Zugangskriterien nicht erfüllen oder nicht bereit beziehungsweise nicht in der Lage sind, im geforderten Maß an der Bearbeitung ihrer sozialen Schwierigkeiten mitzuarbeiten.  Die einzige Anforderung, die das Projekt an sie stellt, ist, regelmäßigen, meist wöchentlichen Kontakt  zuzulassen, im Allgemeinen in Form eines Hausbesuchs. Die Beziehung zwischen Housing First-Nutzer und –Mitarbeiter ist eine vertrauensbasierte Arbeitsbeziehung auf Augenhöhe, was von beiden Seiten als angenehm erlebt wird.“