Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Steckenpferde

Finnland, Land der Luftgitarren- und Handyweitwurf-Meisterschaften, wird von einem neuen Phänomen erfasst: Tausende Menschen hüpfen auf Steckenpferden durch Reiterparcours.

Die Sporthalle im finnischen Vantaa bei Helsinki ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Fast 1000 Menschen sitzen auf den Bänken und beobachten gespannt, was auf dem Spielfeld passiert. Dort ist ein Reiterparcours mit Hürden aufgebaut. Doch Wiehern ist nicht zu hören.

Die Pferde, die hier miteinander konkurrieren, sind aus Holz, Stoff und Wolle. Gerungen wird um den Sieg bei der finnischen Meisterschaft im Steckenpferdreiten, auch Hobby Horsing genannt – und das ist durchaus ernst gemeint.

Ihr Pferd zwischen die Beine geklemmt springen die 200 Teilnehmer über Hürden oder lenken es im Trippelschritt elegant von rechts nach links. Das Steckenpferdreiten ist in Finnland auf bestem Weg, eine sportliche Disziplin zu werden. Nach Schätzungen des Steckenpferdvereins SKY gibt es inzwischen 10.000 Aktive, überwiegend Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren.

«Bislang werden wir nicht als Sportler betrachtet, aber wir arbeiten daran, mehr akzeptiert zu werden», sagt Venla Maria Uutela, die Präsidentin des Vereins. Sie hat schon zwei Bücher über ihr ungewöhnliches Hobby geschrieben.

Seit den 1980er Jahren wird das Steckenpferd in Finnland nicht nur als Spielzeug betrachtet, seinen Durchbruch erlangte der kuriose Sport aber erst jetzt. «Am Anfang machten sich viele über die Reiterei auf dem Stock lustig», erzählt Venla Maria. Doch statt sich zu verstecken, suchten die Enthusiasten die Öffentlichkeit. Im vergangenen Jahr zogen 200 von ihnen in einer Parade durch Helsinki und riefen: «Respektiert das Steckenpferd». «Wir wollten gesehen werden und zeigen, dass wir stolz darauf sind, wer wir sind und was wir tun», sagt die 20-Jährige.

Einen Grund, stolz zu sein, hat auch Ada Filppa aus Naantali: Die 16-Jährige gewann in der Disziplin Dressur den Meistertitel. Vier bis fünf Mal die Woche trainiert sie auf ihren Pferden – im Wald, auf der Straße oder im Garten hinter dem Haus, wo sie einen Hindernisparcours aufgebaut hat.

«Das Steckenpferdreiten bedeutet für mich Freiheit», erzählt Ada. «Ich kann machen, was ich will. Niemand kann mir Vorschriften machen, es gibt keine Regeln, an die ich mich halten muss und ich brauche keine Ausrüstung.» Außerdem mache es großen Spaß. «Wenn ich einen schlechten Tag habe, gehe ich einfach mit meinem Steckenpferd los, und dann bin ich happy.»

Dass Leute sie komisch angucken, komme schon mal vor, sagt die Schülerin, doch das sei ihr egal. «Viele meiner Freunde haben auch Steckenpferde.» Und wer blöde Kommentare zu ihrem Hobby abgebe, sei sowieso nicht ihr Freund. Ada reitet auch auf richtigen Pferden, aber das sei etwas völlig anderes, meint sie. «Das Steckenpferdreiten liegt mir mehr, es ist einfacher und bin auch besser darin.»

Vereinspräsidentin Venla Maria erklärt sich die Popularität damit, dass jeder auf einem Steckenpferd reiten kann, wenn er nur ein bisschen Fantasie hat. Die einen sehen die Sache als Training, andere fühlten sich herausgefordert, ein originelles Pferd anzufertigen.

Wie man das macht, kann man sich inzwischen auf Youtube anschauen. Man braucht einen Besenstiel, Stoff, Fell, Wolle, Schaumstoff und Nähfertigkeiten – je nachdem, was für ein Pferd man sich wünscht. Ada hat sieben Pferde, einige davon auch selbst gemacht. «Doch darauf bin ich nicht besonders stolz», sagt die 16-Jährige lachend.  

Dass das ungewöhnliche Hobby weltweit immer bekannter wird, liegt auch an der Regisseurin Selma Vilhunen. Ihre Dokumentation «Hobbyhorse Revolution» gewann im März zwei Auszeichnungen auf dem Filmfestival im finnischen Tampere und wurde auf Festivals in der Schweiz und den USA gezeigt. Sie porträtierte eine Gruppe von Mädchen und machte deutlich, dass es beim Steckenpferdreiten auch um Freundschaft und Solidarität geht und darum, füreinander einzustehen.

Vilhunen ist voller Bewunderung für die Hobby-Pferdekultur. «Jeder kann dort so sein, wie er ist», sagte sie dem finnischen Rundfunksender YLE. «Die Gruppe hat eine starke innere Demokratie, wir können viel von den Mädchen lernen.»