So löst die Polizei Klimaaktivisten von der Straße – ohne Haut zu lassen

Jedes Kind bekommt beigebracht, dass Sekundenkleber die Finger sehr effektiv zusammenpappt und deshalb höchste Vorsicht geboten ist. Klimaaktivisten aber kleben sich freiwillig damit an Fahrbahnen fest. Wie kommen sie von der Straße wieder los, ohne Haut zu lassen?
Im Bild: Klimaaktivisten haben sich auf die Straße gesetzt und dort festgeklebt. Foto: picture alliance/dpa/Nadine Weigel
Im Bild: Klimaaktivisten haben sich auf die Straße gesetzt und dort festgeklebt. Foto: picture alliance/dpa/Nadine Weigel

Nein, angenehm ist es wirklich nicht. Zwar pinselt der Polizist die Lösungsmittel durchaus gefühlvoll unter die an einem Pflasterstein festgeklebte Hand. Aber wenn er dazu den Zeigefinger ein kleines bisschen anhebt, zerrt das so sehr an der Handfläche, dass man regelrecht spürt, wie sich die oberste Hautschicht gleich von der darunterliegenden losreißen wird – was hin und wieder auch passiert. Dennoch kleben sich Klimaaktivisten immer wieder freiwillig mit Sekundenkleber auf Deutschlands Straßen fest. Doch wie kommen sie da wieder weg? Und wie schauen ihre Hände danach aus?

Besuch beim „Glue-on-Team“

Besuch beim „Glue-on-Team“ des Münchner Polizeipräsidiums. Die Beamtinnen und Beamten schwören nach vielen Selbstversuchen auf eine Mischung aus Speiseöl und Seifenlauge. Aceton setzen sie wegen der Gesundheitsgefahren nur im Notfall ein. Zwei-Komponenten-Kleber wiederum ist im Gegensatz zu Sekundenkleber derart hartnäckig, dass die Fahrt ins Krankenhaus nötig wird – mit dem heraus gemeißelten Bodenbelang an der Hand. Weswegen sich nahezu alle Aktivisten auf Sekundenkleber beschränken.

Um den zu lösen, haben die Münchner Polizeikräfte neben der rosafarbenen Seifenlauge im Mischverhältnis 1:1 und dem handelsüblichen Speiseöl Pinsel in verschiedenen Größen in ihrer großen schwarzen Einsatztasche, dazu Spatel und Mullbinden. Mit dem Verbandsmaterial können sie die glitschige Mischung besonders schmerzarm an die Klebekante befördern, indem sie wie mit einer Zahnseide unter der Hand hin- und herfahren. Gute Dienste leisten dabei die Kniepolster, die das Arbeiten in der gebückten Haltung angenehmer machen.

Alle paar Minuten gießt Polizeihauptmeister Can Palabiyik warmes Wasser über die Hand auf dem Pflasterstein, die bei mittleren einstelligen Temperaturen überraschend schnell auskühlt und eine lila Färbung annimmt. Eine halbe Stunde dauert das Ablösen je nach Beschaffenheit des Untergrunds und der verwendeten Klebermenge leicht. Es kann aber auch eine gute Stunde werden. Entsprechend seien die in der Regel kooperativen Umweltaktivisten am Ende durchaus oft froh, abgelöst zu werden, schildert der Leiter der zuständigen Abteilung, Michael Trinkl.

„Ausschließlich gute Erfahrungen“

Seine Leute bemühten sich grundsätzlich, möglichst schonend vorzugehen, betont Trinkl – was von den Aktivisten geschätzt wird. „Ich habe tatsächlich ausschließlich gute Erfahrungen gemacht mit der Polizei in München“, bestätigt Andreas Hochenauer von der Klimaschutzbewegung Letzte Generation. Deren Aktivisten blockieren seit gut einem Jahr vor allem in den Metropolen wie Berlin, Hamburg und München, bei einem Aktionstag kürzlich aber auch in kleineren Städten wie Magdeburg, Jena, Passau oder Reutlingen, den Verkehr, indem sie sich an viel befahrenen Straßen mit Sekundenkleber festkleben.

Die Gruppe selbst hat bis zum 24. Januar, dem Jahrestag der ersten Aktion in Berlin, 1.250 Straßenblockaden in ganz Deutschland gezählt, rund 800 Menschen hätten sich beteiligt. Mehr als 1.200 Mal seien Protestierende deswegen in Polizeigewahrsam gekommen. Das Münchner „Glue-on-Team“ musste nach eigenen Angaben bisher 35 Mal ausrücken. Dazu zählten neben Straßenblockaden auch Aktionen in Unternehmen oder Museen.

Die Kräfte in anderen Bundesländern gehen ähnlich vor wie die Münchner. „Ich wurde die vier Male tatsächlich sehr sanft und vorsichtig gelöst, und die Polizistinnen und Polizisten haben sich alle 30 Sekunden erkundigt, wie es geht, wie ich mich fühle, und ich solle doch Rückmeldung geben, wenn es weh tue“, erzählt Aktivist Lars Schäfer, der schon in Hamburg, Flensburg und Hannover entsprechende Erfahrungen gesammelt hat. Allerdings habe er auch Menschen gesehen, die so abgelöst worden seien, dass größere Hautstücke auf der Straße geblieben seien.

Löseaktionen werden gefilmt

Deshalb werden zumindest in München die Löseaktionen immer gefilmt. „Denn in seltensten Fällen kommt es schon mal vor, dass die Leute beim Lösen leichte Verletzungen erleiden“, räumt Trinkl ein. In der bayerischen Landeshauptstadt sei bislang aber nur eine junge Frau betroffen gewesen, die sich zweimal am gleichen Tag mit derselben Hand festgeklebt habe.

Sorgen der Aktivisten

Normalerweise bleiben nur Kleberreste auf der Hand zurück – und eine etwas empfindlichere Rötung. Beides vergeht in der Regel binnen eines Tages. Angst haben Hochenauer wie Schäfer deshalb weniger vor dem Ablösen durch die Polizei als vor Angriffen wütender Autofahrer – in Berlin fuhr einer einem sitzenden Aktivisten gar über den Fuß. Auch die juristischen Konsequenzen, die beispielsweise in Bayern von Geldstrafen bis hin zu Präventivhaft reichen können, treiben die 30- und 40-Jährigen um.

Dennoch sehen sie für sich keine Alternative. Für Hochenauer ist es eine moralische Verpflichtung, als privilegierter Westeuropäer für Klimagerechtigkeit einzustehen. Für Schäfer ist es „tatsächlich ein Akt der Verzweiflung. Ich sehe diese Bilder und habe mein kleines Kind auf dem Arm und habe Angst davor, dass es eine ganz fürchterliche Welt wird, auf die wir da zurasen.“ Um dies möglichst noch zu verhindern, nehme er auch die Konsequenzen für die Klebeaktionen in Kauf

Verwendete Quellen:
– Deutsche Presse-Agentur