Bürgergeld vs. Gehalt: Lohnt es sich nicht mehr, arbeiten zu gehen?

"Mit dem Bürgergeld lohne es sich nicht mehr, arbeiten zu gehen." Diese Behauptung wird weiter in sozialen Netzwerken verbreitet. Aber die Sache hat mehr als nur einen Haken.
Mit dem Bürgergeld lohne es sich nicht mehr, arbeiten zu gehen. Diese Behauptung wird weiter in sozialen Netzwerken verbreitet. Foto: picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Mit dem Bürgergeld lohne es sich nicht mehr, arbeiten zu gehen. Diese Behauptung wird weiter in sozialen Netzwerken verbreitet. Foto: picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Nach der Einigung im Vermittlungsausschuss soll das Bürgergeld zum 1. Januar starten. Die Grundsicherung für Arbeitslose wird etwa 50 Euro höher sein als die bisherigen Hartz-IV-Leistungen. Angeblich lohne es sich dann nicht mehr, überhaupt arbeiten zu gehen. Warum das eine verkürzte und irreführende Darstellung ist.

Behauptung: Das Bürgergeld stellt mitunter Arbeitslose finanziell besser als Arbeitnehmer in Vollzeit

Bewertung

Ein Vergleich von Bürgergeld allein mit dem Nettolohn einzelner Geringverdiener:innen ist häufig irreführend. Denn finanzielle Ansprüche für Niedriglohnbezieher:innen werden dabei nicht berücksichtigt.

Fakten

Mit diversen Beispielrechnungen wird in sozialen Medien argumentiert: Menschen, die arbeitslos sind und Bürgergeld empfangen, hätten künftig monatlich genauso viel Geld in der Tasche wie manch Arbeitnehmer:in. Teils wird sogar behauptet, Arbeitslose hätten Hunderte Euro mehr.

Manch einer rechnet etwa vor: Eine alleinstehende Person, die ab 2023 Bürgergeld empfange, habe am Ende vermeintlich genauso so viel Geld zum Leben übrig wie eine beschäftigte Person mit einem Bruttolohn von etwa 2.500 Euro. Denn anders als der oder die Arbeitslose bekomme man als Arbeitnehmer:in weder Wohnung noch Heizkosten vom Staat finanziert, sondern müsse alles aus eigener Tasche bezahlen, so die These.

Rechenbeispiele vielfach unvollständig

Häufig werden bei solchen Beispielen staatliche Leistungen verschwiegen, die Arbeitnehmer:innen im Niedriglohnsektor zustehen: etwa Wohngeld, Kinderzuschläge, Unterhaltsleistungen oder Freibeträge – also zusätzliches Geld, das nur Erwerbstätige beantragen können. Durch die Unterschlagung dieser Zuschüsse fallen die Ergebnisse solcher Rechnungen für Beschäftigte im Niedriglohnsektor teils um mehrere Hundert Euro zu niedrig aus.

Die Differenz zwischen Bürgergeld und Gehalt zu berechnen, ist nicht so simpel, wie es häufig suggeriert wird. Im Gegenteil: Berechnungen von Bedarfen auch bei Niedriglohnempfänger:innen sind hochkomplex – und vor allem individuell. Ob staatliche Leistungen gezahlt werden, hängt von konkreten Faktoren wie Größe und Kosten der Wohnung, Wohnort oder Anzahl der Familienmitglieder ab.

Grundsätzlich haben in Deutschland Berufstätige mehr Geld zur Verfügung als künftige Bürgergeld-Empfänger:innen. Zudem hat Arbeitslosigkeit auch im Alter Folgen. Beim Bürgergeld werden keine Beiträge an die Rentenversicherung abgeführt. Jeder Monat in der Grundsicherung schmälert also künftige Rentenzahlungen.

Welche Zuschüsse gibt es für die unteren Lohngruppen?

Menschen mit geringen Einkommen können verschiedene Zuwendungen erhalten – besonders Familien. Das wären zum Beispiel:

Wohngeld: Dessen Höhe hängt vom Netto-Einkommen des Haushalts, der Zahl der Haushaltsangehörigen und den Mietkosten ab. Der Betrag kann bei geringen Gehältern in einem Drei-Personen-Haushalt einer Alleinerziehenden durchaus mehrere Hundert Euro ausmachen. Ab Januar 2023 soll sich das Wohngeld nach Plänen der Ampel-Koalition um durchschnittlich rund 190 Euro pro Monat erhöhen und der Kreis der Berechtigten von heute rund 600.000 auf zwei Millionen Bürger:innen erweitert werden.

Kinderzuschlag: Über die Höhe dieser Zuwendung wird individuell entschieden je nach Einkommen, Wohnkosten, Größe der Familie und dem Alter der Kinder. Voraussetzung ist, dass eine Alleinerziehende oder ein Alleinerziehender ein Bruttoeinkommen von mindestens 600 Euro und Paare von mindestens 900 Euro haben. Beispiel: Eine Mutter mit zwei Kindern bekommt bei einem Bruttogehalt von bis zu 2.100 Euro und einer Warmmiete von etwa 790 Euro bis zu 229 Euro monatlich pro Kind.

Unterhaltsvorschuss: Diese staatliche Leistung für Kinder von erwerbstätigen Alleinerziehenden wird gezahlt, wenn das andere Elternteil nicht regelmäßig oder in voller Höhe Unterhalt für seine Kinder beisteuert. Der Vorschuss beträgt derzeit für Kinder zwischen 6 und 11 Jahren monatlich bis zu 236 Euro, bei älteren sogar bis zu 314 Euro. Die Höhe richtet sich nach dem gesetzlichen Mindestunterhalt, der für die jeweilige Altersstufe festgelegt ist.

Strom müssen auch Bürgergeld-Empfänger selbst zahlen

Wenn man bei Bürgergeld-Empfänger:innen mit null Euro Energiekosten rechnet, ist das falsch. Strom muss nämlich aus dem zur Verfügung gestellten Regelsatz finanziert werden.

Die Kosten für Wohnen und einen angemessenen Verbrauch bei der Heizung werden tatsächlich vom Amt übernommen. Gerade das sorgt angesichts steigender Mieten sowie Gas- und Ölpreise für viel Unmut aufseiten der Arbeitnehmer:innen.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, etwa lenkt daher den Blick auf die Löhne. Ein gewisser Abstand zwischen Erwerbseinkommen und Bürgergeld müsse gehalten werden, erklärte sie im Deutschlandfunk. „In Branchen, wo dies nicht gegeben ist, muss dringend nachgebessert werden.“ Soll heißen: Nicht das Bürgergeld ist ihrer Ansicht nach zu hoch, sondern die Gehälter teils zu niedrig.

Verwendete Quellen:
– Deutsche Presse-Agentur