Test in Saar-Einfamilienhaus: Was bringt sekundengenaue Strommessung?
Das Testobjekt: Ein Einfamilienhaus in Saarbrücken
Bis 2032 sollen intelligente Stromzähler, sogenannte Smart Meter flächendeckend in Haushalten und Unternehmen zum Einsatz kommen. Die Bundesregierung verspricht sich davon einen bewussteren Umgang mit Energie. Der aus Norwegen stammende Anbieter Tibber bietet ein solches System bereits jetzt an – bzw. liest mit einem Zusatzgerät den Strom sekundenaktuell ab. Wir haben in einem Einfamilienhaus im Saarbrücker Stadtteil Klarenthal den Praxistest gemacht: Bringt es überhaupt etwas, den aktuelle Energieverbrauch zu kennen?
Ruhepuls: Wieviel verbraucht unser Haus in der Nacht?
Der „Tibber Pulse“, den man zusätzlich zur App des Stromanbieters braucht (alles zu Gerät und Installation hier), ist schnell installiert. Es kann losgehen. Wenn sich der „Pulse“ zum ersten Mal meldet und den Stromverbrauch sekundengenau wie eine Fieberkurve zeichnet, ist das erste Gefühl schon: „Wow!“ Vor allem, wenn Kaffeemaschine oder der Elektroherd die Kurve plötzlich in die Höhe schießen lassen.
Aber beginnen wir mitten in der Nacht, 4.00 Uhr. Es passiert gerade – nichts. Kein Fernseher, kein Licht, nur die notwendigsten Geräte laufen. Das ist meist tief in der Nacht so. Das Haus und seine Bewohner schlummern vor sich hin – quasi mit Ruhepuls.
Das war die erste Frage, die wir uns stellten: Wie viel Strom verbraucht unser Haus, wenn quasi nichts passiert. Also nachts, um 4.00 Uhr. Ein bisschen passiert doch: Der Kühlschrank hängt am Netz. Der Gefrierschrank auch. Der WLAN-Router. Die Heizung schlummert zwar, dennoch hängt sie am Stromnetz. Ein paar Geräte sind auf Standby. Stromverbrauch mit Ruhepuls.
Die Tibber-App zeigt: 97 Watt. Das ist der Stromverbrauch, wenn das „Haus nichts tut“. Wenn wir nichts tun. Der Ruhepuls also. Spannend.
Das Leben erwacht: Die Verbrauchskurve steigt
Noch spannender wird es, wenn am Morgen das Leben erwacht. Um 5.30 Uhr startet – nach der Nachtabsenkung – die Heizung wieder (in unserem Fall ein Gasbrennwertkessel mit Solarthermie). Wir schalten Lichter an. Wir bügeln etwas. Duftender Kaffee muss jetzt sein. Für Milch und Frühstück den Kühlschrank öffnen. Danach muss er kurz wieder nachkühlen. Jeder Tastendruck, jede Betätigung eines Schalters schickt mehr Strom durch die Leitungen.
Mit der Tibber-App sehen wir zum ersten Mal, was das konkret bedeutet. Die Fieberkurve unseres Stromverbrauchs geht auf und ab. Nach ein paar Tagen unseres Tests lernen wir: Jedes Gerät, das irgendetwas erhitzen muss, frisst ziemlich viel Strom: Kaffeemaschine, Bügeleisen, Backofen, Waschmaschine, Elektroherd.
Alles, was heiß macht, braucht viel Strom
Das „Profil“ des Stromverbrauchs ist bei all diesen Geräten recht ähnlich. Der Verbrauch schießt am Anfang stark in die Höhe – auf 1.500 bis 2.500 Watt, je nach Gerät. Wenn die benötigte Hitze erreicht ist, pendelt der Stromverbrauch ständig hin und her – und geht wieder schlagartig nach oben, wenn nachgeheizt werden muss.
Unsere Kaffee-Maschine (ein Vollautomat) funktioniert da genauso wie das Bügeleisen oder der Backofen. Während die Kaffeemaschine für etwa 30 Sekunden 1.500 Watt zieht, ist das Bügeleisen mit 2.400 Watt schon energiehungriger – und braucht auch länger, bis es die richtige Temperatur erreicht hat.
Als besonders gefräßig hat sich unser Backofen gezeigt. Er genehmigt sich für rund zehn Minuten konstant 2.400 Watt, bis er die 180-Grad-Marke erreicht hat. Danach fällt der Verbrauch stark ab, durchbrochen von kurzen Aufheizphasen. Ähnlich macht das übrigens die Waschmaschine.
Welches Gerät hat wie viel Hunger nach Strom?
Am spannendsten bei dieser „Energie-Pirsch“: Auf dem Handyschirm lässt sich live verfolgen, welches Gerät gerade wie viel Hunger nach Strom hat.
Dieser Erkenntnisgewinn hat übrigens Folgen. Marion Nöldgen, Deutschland-Chefin von Tibber sagt im Gespräch mit SOL.DE: Es gibt Studien, die zeigen, dass der Verbrauch „im Schnitt um 14 Prozent sinkt, wenn man den Effekt sieht.“ Sie wird Recht behalten – dazu gleich mehr.
Es gibt es durchaus „Aha“-Erlebnisse. Zum Beispiel beim Fernseher. Unser TV-Gerät hat einen Energiesparmodus, die sogenannte Öko-Einstellung. Haben wir bisher, ehrlich gesagt, nie genutzt. Mit Tibber wollen wir sie dann aber doch testen. Wir stellen sie auf „mittel“. Am Bild verändert sich kaum etwas – in der App auch nicht. Dann eben auf „stark“. Das Bild wird leicht dunkler – ohne, dass es uns wirklich stört.
„Öko-Modus“ beim Fernseher lohnt sich
Die Tibber-App zeigt: Im vollen „Öko“-Modus braucht unser TV-Gerät samt Soundbar konstant 30 Watt weniger. Spart – bei drei Stunden pro Tag und angenommenen 0,45 Euro pro kWh – immerhin fast 15 Euro im Jahr – ohne einen groß sichtbaren Unterschied. Nehmen wir!
Einer Sache wollen wir noch auf den Grund gehen. Tibber-User haben folgendes festgestellt: Schaut man Privatsender wie RTL, Pro Sieben oder Sat.1 braucht der Fernseher angeblich mehr Strom als bei den Öffentlich-Rechtlichen.
Wer Privatsender schaut, braucht mehr Strom
Tatsächlich: Bei den „Privaten“ schießt unser Verbrauch schon mal 10-20 Watt nach oben, offenbart uns die Tibber-App, während „Wer wird Millionär“ bei RTL läuft. Der Versuch klappt auch bei anderen Sendungen. Des Rätsels Lösung liegt im Werbeblock: Den schalten die Sender gerne etwas lauter und heller – was mehr Strom verbraucht.
Ein weiteres „Aha“-Erlebnis hatten wir auch mit unserer, etwas in die Jahre gekommenen „Nespresso“-Maschine: Die lassen wir abends gerne laufen für einen Espresso nach dem Essen – und vielleicht noch einen zweiten irgendwann hinterher. Die Tibber-App offenbart: Die Maschine zieht sich erst 1.400 Watt zum Aufwärmen – und dann im Minutentakt jeweils weitere 700 bis 800 Watt – damit auch der nächste Espresso auf Knopfdruck sofort heiß gebrüht werden kann. Und das geht so oft über Stunden.
Alexa ist jetzt Komplizin beim Stromsparen
Jetzt nicht mehr: Wir haben eine kleine WLAN-Steckdose dazwischen gesteckt. Wir sagen nun zu Alexa im Wohnzimmer: „Alexa – Kaffeemaschine an“ – und bis wir von der Couch in der Küche angekommen sind, ist die richtige Espresso-Temperatur erreicht. Etwas Luxus muss ja sein. Ach ja: Alexa. Unsere hat einen Bildschirm. Alexa braucht drei Watt, wenn dieser aus ist und sie vor sich hinschlummert – und keine zehn Watt, wenn der Screen an ist.
Bye, bye Standby!
Was wir noch verändert haben, seit „Tibber Pulse“ Einzug gehalten hat? Einige Standby-Geräte mussten dran glauben. Vor allem im Wohnzimmer und im Arbeitszimmer. Stereoanlage, Festplatte für TV-Aufnahmen (die wir so gut wie nie nutzen) und ein paar weitere Geräte hängen jetzt auch an WLAN-Steckdosen. „Alexa – Multimedia an“, lautet das Zauberwort, wenn wir im Wohnzimmer doch etwas davon brauchen. Spart dauerhaft 40 Watt. Im Jahr sind das rund 150 Euro.
Im Bad, in der Küche, über dem Esszimmertisch, auf den Toiletten und an unserem Treppenaufgang haben wir Halogen-Lampen. Vor rund zwölf Jahren, als wir unser Haus gebaut hatten, war die LED-Technik noch nicht so weit. Jetzt offenbart die Tibber-App, dass die Lampen ziemliche Stromfresser sind. Wir werden sie nun nach und nach austauschen.
Strom zum Börsenpreis – und Sparen beim Auf- und Ab
Eine Besonderheit, welche die Live-Strom-Auswertung bietet, haben wir noch nicht erwähnt: Ist der „Tibber Pulse“ aktiv, stellt Tibber den Stromtarif um. Da sich der Börsen-Strompreis im Tagesverlauf auf und ab bewegt, gilt bei der Abrechnung nun stundenweise der jeweils aktuelle Preis pro Kilowattstunde. Es ist also gut möglich, dass nach 22.00 Uhr der Preis auf 25 Cent fällt, wenn er um 19 Uhr – während der „Rush hour“ – noch bei 50 Cent lag.
Das heißt: Geräte, die viel Energie schlucken – zum Beispiel Waschmaschine, Trockner oder Spülmaschine – kann man schon mal gezielt in den günstigeren Tarifzonen starten. Moderne Geräte verfügen meist über einen Timer.
Richtig spannend wird es ab dem Frühjahr: Dann tauschen wir unseren jetzigen Diesel-„Verbrenner“ gegen ein Hybrid-Auto mit rund 50 Kilometer reiner E-Reichweite. Über sogenannte „Power-ups“ können wir dann unsere Wallbox mit der Tibber-App verbinden.
E-Auto automatisch laden, wenn der Strom gerade günstig ist
Der App teilt man dann nur noch mit, dass man gerne am Morgen um 8.30 Uhr losfahren möchte. Sie optimiert das Laden des Auto-Akkus dann so, dass dieser in möglichst günstigsten Tarifzonen mit Strom versorgt wird – und das Auto beim Start mit vollem Akku bereitsteht. Bei einem reinen E-Auto spart das „etwa 300 bis 400 Euro im Jahr„, sagt Marion Nöldgen, Chefin von Tibber Deutschland.
Das Fazit nach unserem vierwöchigen Test: Erstens ist es total spannend, dem Stromverbrauch im eigenen Haus auf die Spur zu kommen. Zweitens: Die ein oder andere Sparmöglichkeit nimmt man gerne mit. Strom ist unsichtbar. Und der Stromverbrauch normalerweise auch (bis die Jahresabrechung kommt) – die App ändert das und schafft völlige Transparenz. Das macht Spaß – und man ändert ganz automatisch das eigene Verhalten. Tibber belohnt das übrigens, in dem es seine Nutzer zu einer „Community“ zusammenfasst: Die App zeigt den eigenen Verbrauch im Vergleich zu anderen, ähnlichen Haushalten. Die Pläne der Bundesregierung und von Robert Habeck, die Strommessung intelligent und digital zu machen, sind also durchaus sinnvoll.
Das ist Tibber
Tibber kommt aus Norwegen und ist seit zwei Jahren auch in Deutschland aktiv. Das Besondere: Während die meisten klassischen Stromanbieter am Verbrauch mitverdienen, gibt Tibber den Börsenpreis 1:1 an seine Kund:innen weiter (plus staatliche Umlagen und Netznutzsgebühr des örtlichen Stromnetzbetreiber), liefert Öko-Strom und finanziert sich ausschließlich aus einer Gebühr von 3,99 Euro pro Monat. Tibber setzt deshalb – mangels Interessenkonflikt – auf völlige Transparenz beim Verbrauch und will so zum Energiesparen anregen. Das Gerät „Tibber Pulse“ kostet für Kund:innen einmalig 89,95 Euro. Wir haben mit Marion Nöldgen, Deutschland-Chefin von Tibber gesprochen, wie sie mit ihrem Team den Markt revolutionieren will.
Interview mit Marion Nöldgen, Geschäftsführerin von Tibber Deutschland