Leben im Frauenhaus: Betroffene berichten

Der Gang in ein Frauenhaus fällt Betroffenen oft schwer. Doch auch abseits der eigenen Gefühle sind die Hürden hoch: Nur selten ist überhaupt ein Platz frei.
Alexandra Böning (l), Leiterin Frauenhaus Bad Kreuznach, im Beratungs-Gespräch mit zwei Frauen. Foto: Andreas Arnold/dpa
Alexandra Böning (l), Leiterin Frauenhaus Bad Kreuznach, im Beratungs-Gespräch mit zwei Frauen. Foto: Andreas Arnold/dpa

Zwischen Beratung und Intervention – Leben im Frauenhaus

Einfach mal durchatmen. In die Hängematte legen, an nichts denken, die Sterne betrachten, atmen. Für Julia Schneider (Name geändert) keine Selbstverständlichkeit. Schneider ist Mitte 40, Mutter mehrerer Kinder und kommt aus Rheinland-Pfalz. Nach Jahren des psychischen Missbrauchs durch ihren Ehemann zog sie im vergangenen Jahr die Notbremse. Im Anschluss an einen Klinikaufenthalt wurde sie im Dezember 2022 an das Frauenhaus in Bad Kreuznach vermittelt. „Es war klar, dass ich nicht in das häusliche Umfeld zurück darf, weil ich das nicht überlebt hätte“, sagt sie.

Ob rechtzeitig ein Platz frei wird, ist oft Glücksache

Schneider ist eine von 44 Frauen und 56 Kindern, die im vergangenen Jahr das Glück hatten, in Bad Kreuznach einen Platz zu bekommen. Denn in der Regel sind die derzeit 18 Frauenhäuser in Rheinland-Pfalz mit ihren Plätzen für 118 Frauen und 175 Kinder voll. Würde Rheinland-Pfalz die Istanbul-Konvention des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umsetzen, müssten es 410 Plätze sein, erklärt Karin Faber, Koordinatorin der Konferenz der Frauenhäuser Rheinland-Pfalz. Nach Angaben des Frauenministeriums wird ein Aktionsplan erarbeitet, um die Anforderungen der Konvention besser zu erfüllen.

Auf der Homepage „Frauenhaus-Suche“ der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser können Frauenhäuser bundesweit angeben, ob sie aktuell freie Plätze für Frauen und Kinder anbieten. Für die Frauenhäuser in Rheinland-Pfalz gibt es eine zusätzliche Seite. „Wenn wir einen Platz frei haben und das morgens bekannt wird, ist er abends belegt“, erklärt die Einrichtungsleiterin Petra Wolf aus Bad Kreuznach. Im vergangenen Jahr hat das Frauenhaus Bad Kreuznach 147 Anfragen aus dem gesamten Bundesgebiet erhalten, 85 Frauen mussten wegen zu geringen Kapazitäten abgewiesen werden.

„Wenn klar ist, dass eine Frau in drei Tagen aus der Klinik entlassen wird, reservieren wir das Zimmer schon auch mal“, sagt Wolf. Dann ist es in der Statistik drei Tage nicht belegt. Apropos Statistik: Die Auslastung lag 2022 in Bad Kreuznach bei 83,5 Prozent, das heißt an 60 Tagen des Jahres war ein Zimmer frei. Das zeigen auch die Daten, die das Investigativmedium CORRECTIV.Lokal für das Jahr 2022 ausgewertet hat: Demnach waren im Mittel die Häuser in Rheinland-Pfalz an 336 Tagen voll. Dennoch will Wolf Frauen ermutigen, sich zu melden: „Wenn bei uns nichts frei ist, suchen wir nach einer Alternative.“

Wie werden die Frauenhäuser finanziert?

Die Finanzierung der Frauenhäuser ist in einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. In Rheinland-Pfalz erhalten sie einheitlich 127.970 Euro als Sockelbetrag vom Land. Dieser umfasst laut Ministerium Fördermittel für Beratung und Unterstützung von Frauen während und nach dem Frauenhausaufenthalt, Präventionsarbeit und die Arbeit mit Kindern in den Frauenhäusern. „Die Mittel müssen jedes Jahr neu beantragt werden, weil Frauenhäuser einen Projektstatus haben“, erklärt Wolf. Dies hänge mit dem Landeshaushalt zusammen, eine Förderung stehe jedoch nicht infrage, heißt es aus dem Frauenministerium. Ab dem sechsten Platz gibt es eine Platzpauschale von 6.000 Euro sowie grundsätzlich einen Zuschuss für Sachkosten von 6.955 Euro.

Frauenhäuser brauchen einen neuen Status, um mehr Gelder zu kriegen

Manche Kommunen zahlen den örtlichen Einrichtungen, die in der Trägerschaft etwa eines Vereins sind, eine freiwillige Leistung, die allerdings mit Frist jederzeit gekündigt werden kann. „Wir fordern, Frauenhäuser als Institution zu finanzieren, nicht als freiwillige Leistung“, sagt Koordinatorin Faber.

Frauen zahlen nur eine kleine Gebühr für ihren Aufenthalt

Abhängig vom Standort zahlen die Frauen außerdem eine Nutzungsgebühr wie Miete und Nebenkosten zwischen vier Euro bis rund 20 Euro pro Tag. Bei Frauen, die Sozialleistungen bekommen, übernimmt der Sozialleistungsträger die Kosten für den Aufenthalt. „Mit den Mieteinnahmen werden die Kosten des Hauses bestritten, da machen wir keinen Gewinn, wir decken gerade die laufenden Kosten“, sagt Wolf.

Betroffene berichtet: Ich dachte, ich sei schuld an der Gewalt

Claudia Maier, die eigentlich anders heißt, hat es geschafft. Sie kommt aus Baden-Württemberg, ist Mitte 30 und seit Mai mit ihren zwei Kindern im Frauenhaus. Sechs Polizeimeldungen liegen gegen ihren Mann vor, er darf sich derzeit weder ihr noch den Kindern nähern. Zuletzt schlug er Maier auf offener Straße mit der Faust ins Gesicht. Mehrere Passanten riefen die Polizei.

Dass sie ins Frauenhaus gehe, sei eine Auflage des Jugendamts gewesen, berichtet Maier. Sie stand vor der Wahl: entweder raus aus der Beziehung oder das Amt entzieht ihr die Kinder. „Von mir aus hätte ich das nicht gemacht.“ Maier dachte ähnlich wie Schneider, sie sei schuld an der Gewalt, wäre sie nicht so provokant oder aufmüpfig, hätte ihr Partner sie nicht geschlagen. „Es hat drei Monate gedauert, diese Sichtweise zu ändern“, sagt sie heute.

Jahrelange körperliche, sexualisierte und/oder psychische Gewalt

Wolf zufolge sind die Beispiele typisch. Alle Frauen, die im Frauenhaus aufgenommen werden, erlebten körperliche, sexualisierte und/oder psychische Gewalt. „Häufig haben wir es mit starken Frauen zu tun, die viel gemeistert haben in ihrem Leben und denen es schwerfällt, ihre eigene Ohnmacht zu spüren.“

Mindestens einmal die Woche treffen sich die Frauen zu einem Gespräch mit ihrer jeweiligen Beraterin. Außerdem gibt es ein Gruppengespräch. „Das, was wir machen, ist an der Grenze zwischen Beratung und therapeutischer Intervention“, erklärt Wolf. Darüber hinaus helfe die gegenseitige Unterstützung der Frauen, auch der Erfahrungsaustausch wirke bestärkend.

Für Schneider und Maier war das eine völlig neue Erfahrung. Zum einen, dass ihnen geglaubt wurde, aber auch, dass sie keine Beweise für ihre Situation erbringen mussten. Wie Schneider erzählt, hatte sie die Abwertungen ihres Mannes schon verinnerlicht und das Gefühl für ihre Bedürfnisse verloren. „Ich könnte jetzt erst wieder in einem Restaurant essen gehen, weil ich erstmals ein Gefühl dafür hätte, was ich bestellen wollen würde“, sagt sie. Diese Entwicklung habe sie nur im geschützten Rahmen des Frauenhauses vollziehen können.

Verwendete Quellen:
– Deutsche Presse-Agentur