Das nervt Emily: „Politik auf Fotos? Das sind oft Männer in Anzügen“

Emily Vontz (22) ist Deutschlands jüngste Bundestagsabgeordnete. Für SOL.DE schreibt sie die Kolumne "Emily in Berlin". Was die junge Saarländerin nervt: Politik wird (immer noch) von Männern gemacht. Dabei findet sie: Politik braucht möglichst viele Sichtweisen.
Emily Vontz
Emily Vontz sagt: Fotos von Politik zeigen oft viele Männer in Anzügen. Foto: Oliver Wagner
Emily Vontz
Emily Vontz sagt: Fotos von Politik zeigen oft viele Männer in Anzügen. Foto: Oliver Wagner

„Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie merken, man kann hier viel dazwischenrufen. Das gehört alles zur Meinungsfreiheit dazu. Sich aber gegenseitig zu sagen, dass der eine mehr Verständnis von Politik hätte und der andere weniger, das ist schon beleidigend. Ich finde, dass wir zu einem gewissen Umgang miteinander kommen sollten, wenn junge Frauen hier sprechen, die auch noch gar nicht so lange im Parlament sind. Es ist keine schöne Art, ständig dazwischenzurufen, von einer Männerriege, wie sie auf der rechten Seite sitzen.“

Das war der Ordnungsruf von Aydan Özoğuz, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, nach meiner Rede zu den Europa-Wahlen 2024.

Politik wird (immer noch) von Männern gemacht

Wow – das waren echt klare Worte. Natürlich war das nicht das erste Mal, dass andere Abgeordnete bei meiner Rede dazwischengerufen haben. Aber dieses Mal war es so extrem, dass die Vizepräsidentin nach der Rede noch einmal zur Ordnung und zu einem besseren Umgang aufgerufen hat. Und das ist echt ungewöhnlich im Bundestag.

Ich habe hier in meiner Kolumne „Emily in Berlin“ schonmal davon erzählt, wie ich den politischen Betrieb als junge Frau erlebe. Warum widme ich dem Thema also schon wieder so viel Aufmerksamkeit?

Ganz einfach: Politik wird (immer noch) von Männern gemacht. Das bedeutet auch, dass der politische Alltag und das politische System so aufgebaut sind, dass Frauen es oft schwerer haben. Und auch wenn sich in den letzten Jahren schon viel verändert hat, ist die Statistik weiterhin deutlich.

Ein paar Zahlen und Fakten zum Bundestag:

  • Aktuell liegt der Frauenanteil bei 35,1 %.
  • Bei den Grünen sind mit 59% die meisten Frauen vertreten, bei der AfD mit 11,5% die wenigsten.
  • Den bisher größten Frauenanteil im Bundestag gab es 2013-2017 mit 37,3%.
  • Im weltweiten Ranking der Interparlamentarischen Union IPU (Stand Juli 2023) nimmt Deutschland nur Platz 44 von 185 ein.

Die Fakten sprechen für sich. Und auch wegen meiner Anfangszeit im Bundestag möchte ich dem Thema „Frauen in der Politik“ Raum geben. Ich finde es wichtig, dass wir über das Thema sprechen. Fotos von Politik zeigen oft viele Männer in Anzügen. Das Bild ist für uns alle normal. Wir kennen es aus Deutschland und aus der ganzen Welt. Aber das Bild darf nicht so bleiben. Denn es ist schlecht, verschiedene Bevölkerungsgruppen nicht ausreichend repräsentiert sind. Und es ist eben auch schlecht, wenn Frauen nicht ausreichend repräsentiert sind.

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Bis 1997: Frauen durften nur mit Okay ihres Ehemannes arbeiten

Für mich ist deshalb klar: Gute Politik braucht möglichst viele Sichtweisen. Entscheidungen sollten so getroffen werden, dass so viele Menschen wie möglich berücksichtigt werden. Und das kann nur dann klappen, wenn möglichst viele unterschiedliche Menschen mit dabei sind. Es ist kein Zufall, dass sich die Situation von vielen Frauen erst dann verbessert hat, als auch immer mehr Frauen in der Politik aktiv wurden – zum Beispiel im Bundestag.

Und das ist alles noch gar nicht so lange her:
Erst seit etwas mehr als hundert Jahren dürfen Frauen wählen. Erst 1958 durften Ehefrauen nach der Hochzeit ihr eigenes Vermögen haben und ein eigenes Konto besitzen. Bis 1977 durften Frauen nicht mal ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes arbeiten. Vergewaltigung in der Ehe wurde erst 1997 strafbar. Das waren Meilensteine, die ohne politisch aktive Frauen nicht möglich gewesen wären.

Statistik: Frauenanteil in der Professorenschaft in Deutschland im Jahr 2021 nach Bundesländern | Statista
Auch Universitäten sind meist noch männlich geprägt. Mehr Statistiken findet ihr bei Statista

Mehr (Männer-)Kommentare zum Outfit als zum Inhalt

Deshalb ist es so wichtig, dass Frauen in der Politik und in den Parlamenten vertreten sind. Aber allein das reicht leider noch nicht. Denn solange immer noch dafür gesorgt wird, dass sich Frauen – und besonders junge Frauen im politischen Kontext – unwohl fühlen, gibt es ein Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern in der Politik. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Männer mehr Kommentare zum Outfit als zum Redebeitrag abgeben. Oder wenn es lauter im Raum ist, wenn Frauen sprechen. Wenn Frauen nur an Themen arbeiten dürfen, die vermeintlich emotionaler und sozialer sind. Oder wenn der Satz fällt: „Wir haben eh keine Frauen“. Ja, das sind tatsächlich Erfahrungen, die ich im ersten halben Jahr im Bundestag gemacht habe oder die mir Frauen erzählt haben, die in Parteien aktiv sind.

„Lass sie doch mal ausreden“

Umso schöner ist es dann, wenn man merkt, wer einen unterstützt: Ich persönlich habe im Bundestag viele tolle Menschen kennengelernt, die nach einer Ausschusssitzung auf mich zukommen und mit mir weiter über meinen Redebeitrag sprechen wollen. Und wenn bei meiner Rede jemand laut dazwischenruft, höre ich nicht nur von der SPD: „Lass sie doch mal ausreden“. Gerade da habe ich gemerkt: Es gibt den Zusammenhalt der Frauen im Bundestag. Und auch auf lokaler Ebene ist es ein tolles Gefühl, wenn man merkt, dass sich Frauen im politischen Bereich zusammentun, um neuen, jungen weiblichen Mitgliedern ein gutes Gefühl zu geben.

Genau davon können wir lernen. Machen wir es so, wie einige meiner wunderbaren Kolleg:innen. Lasst uns unsere Mitmenschen in der Schule, Uni oder auf der Arbeit unterstützen, wenn sie ihre Stimme nutzen und für ihre Themen laut sind. So lernen wir vielleicht eine ganz neue Sichtweise kennen und können am Ende eine bessere Entscheidung treffen.

Eure Emily

PS: Wann denkt ihr, werden im Bundestag gleich viele Frauen wie Männer sein? Schreibt mir per E-Mail oder über Social Media. Ich freue mich!

Verwendete Quellen:
Frauen Macht Politik – Daten und Fakten
Monthly ranking of women in national parliaments
Diese Rechte haben Frauen in den letzten 100 Jahren errungen

Emily in Berlin

Emily Vontz

Emily ist mit 22 Jahren seit Januar 2023 die jüngste Abgeordnete im Bundestag. Für SOL.DE berichtet sie aus ihrem Alltag in Berlin und aus dem Saarland. Als jüngstes Mitglied im Bundestag hat sie eine besondere Perspektive auf das politische Geschehen und möchte euch dabei so nah wie möglich mitnehmen. Schreibt ihr gerne auf Instagram oder informiert euch über sie auf ihrer Website.