Auch im Saarland: Wie durch Nachmeldungen die RKI-Zahlen verfälscht werden

Im Landkreis Neunkirchen müssten die Schulen und Kitas eigentlich geschlossen sein, da die Sieben-Tage-Inzidenz drei Tage hintereinander über 165 lag. Auch in Saarlouis und Umgebung müssten verschärfte Regelungen für den Einzelhandel gelten. Doch ein Verzug bei den Corona-Meldungen sorgt für "verfälschte" RKI-Zahlen und verhindert damit entsprechende Regelschärfungen.
Meldeverzug sorgt für verwässerte Corona-Zahlen beim RKI. Symbolfoto: picture alliance/dpa | Peter Steffen
Meldeverzug sorgt für verwässerte Corona-Zahlen beim RKI. Symbolfoto: picture alliance/dpa | Peter Steffen
Meldeverzug sorgt für verwässerte Corona-Zahlen beim RKI. Symbolfoto: picture alliance/dpa | Peter Steffen
Meldeverzug sorgt für verwässerte Corona-Zahlen beim RKI. Symbolfoto: picture alliance/dpa | Peter Steffen

RKI-Datengrundlage problematisch

Seit Inkrafttreten des Bundesinfektionsschutzgesetzes sind die Corona-Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) maßgeblich für die Vorschriften in den einzelnen Landkreisen. Liegen die Inzidenzen demnach drei Tage hintereinander über bestimmten Grenzwerten, so gelten die verschärften Regelungen der Bundes-Notbremse. Doch die Datengrundlage des RKI ist äußerst problematisch. So werden keinerlei Korrekturen zugelassen, wie die folgenden Fälle zeigen:

Warum im Landkreis Neunkirchen eigentlich die Schulen und Kitas geschlossen sein müssten

Im Landkreis Neunkirchen waren in der vergangenen Woche viele Leute beruhigt. Die Sieben-Tage-Inzidenz überschritt laut den offiziellen Daten des RKI zwar an zwei Tagen den Inzidenzwert von 165 (29. April: 171,2 und 1. Mai: 170,5), aber zwischenzeitlich sank der Wert scheinbar auf 163,6 (am 30. April). Hätte der Wert auch an diesem Tag über 165 gelegen, so hätten die Schulen und Kitas im Kreis schließen müssen.

Doch wie sich nachträglich herausstellte, war der Inzidenzwert vom 30. April fehlerhaft. Durch einen Meldeverzug wurden nicht alle Corona-Fälle des betroffenen Tages korrekt an das Robert-Koch-Institut übermittelt. Wären sämtliche Fälle rechtzeitig übermittelt worden, so hätte die Inzidenz bei 165,9 gelegen. Die Schulen im Landkreis Neunkirchen hätten demnach eigentlich geschlossen werden müssen.

Keine nachträgliche Korrektur der RKI-Inzidenzen bei Nachmeldungen vorgesehen

Das RKI selbst hat die Nachmeldungen zwar später in seine Statistiken mit aufgenommen (Das RKI bietet eine Übersicht mit den nachübermittelten Fällen an: „Rückwirkende Betrachtung der 7-Tage-Fallzahlen und -Inzidenzen nach Kreisen inklusive nachübermittelte Fälle“), eine nachträgliche Korrektur der so wichtigen Sieben-Tage-Inzidenzen ist hingegen aber nicht erfolgt.

Das RKI hat inzwischen mehrfach bestätigt, dass eine nachträgliche Veränderung einer Tages-Inzidenz in solchen Fällen nicht vorgesehen ist. Nachgemeldete Neuinfektionen würden erst am Folgetag berücksichtigt werden. Das hat aber im Hinblick auf Regeländerungen oftmals keine Auswirkungen, da für Verschärfungen die Grenzwerte eben an drei Tagen hintereinander überschritten werden müssen. Liegt die Inzidenz auch nur an einem Tag unter der Schwelle, so hat der Wert am Folgetag zunächst keinerlei Bedeutung.

Selbst offensichtliche Fehler werden nicht korrigiert

In Aachen führte diese Praxis des RKI zu einer besonders absurden Konstellation. So ist der Kommune ein Fehler unterlaufen und es wurden völlig falsche Zahlen übermittelt. Daraufhin lag der offizielle Inzidenzwert laut RKI bei 129. In Wahrheit lag die Inzidenz aber weit über 165. Aachens Gesundheitsdezernent Michael Ziemons wollte den Fehler schnellstmöglich korrigieren und hatte die richtigen Zahlen umgehend nachgeliefert. Doch das RKI hat den bereits festgelegten Inzidenzwert selbst in diesem Fall nicht korrigiert.

Auch im Landkreis Saarlouis müssten härtere Corona-Regeln gelten

Auch im Landkreis Saarlouis gab es in der vergangenen Woche mehrere Nachmeldungen, sodass die offiziellen RKI-Werte dementsprechend verwässert wurden. Der Inzidenzwert lag eigentlich mehrere Tage über 150, was Konsequenzen für den Einzelhandel hätte nach sich ziehen müssen. Das RKI hat die nachgemeldeten Fälle zwar inzwischen in einer Statistik aufgenommen, korrigiert wurden die fehlerhaften Inzidenzen aber auch hier nicht.

SOL.DE hat beim Landkreis Saarlouis nachgefragt, warum es dort so oft zu Nachmeldungen kommt. Die Pressestelle erklärte hieraufhin, dass das unter anderem an den unterschiedlichen Arbeitszeiten in den Laboren und den Ämtern liege. Da die Labore rund um die Uhr arbeiten, erhalte das Gesundheitsamt auch nach eigenem Dienstschluss noch Meldungen, die man dann erst am Folgetag entsprechend nachmelde. Zudem gebe es auch immer wieder nachträgliche Korrekturen von Fällen, wenn sich beispielsweise herausstelle, dass der Wohnort der getesteten Person in einem anderen Landkreis liege.

Gesundheitsministerium erklärt sich: Bürger:innen müssen sich rechtzeitig auf Maßnahmen einstellen können

Auch das saarländische Gesundheitsministerium weist auf SOL.DE-Anfrage auf den Unterschied zwischen dem „Zeitpunkt der Übermittlung“ und dem „Zeitpunkt der Meldung“ hin. Die „elektronische Meldung vom Labor an das Gesundheitsamt ist mit einem Zeitstempel versehen und somit das eigentlich relevante Datum“, erklärt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums. Die Übermittlung an das RKI kann sich aber dann, wenn die Meldung vom Labor an das Gesundheitsamt außerhalb der Arbeitszeiten des Gesundheitsamtes geschieht, auf den Folgetag verzögern.

Dass die Nachmeldungen vom RKI nicht mehr nachträglich für die Inzidenzen berücksichtigt werden, begründet das Gesundheitsministerium mit der Planungssicherheit für die Bürger:innen, die sich im Vorfeld auf Regelungen einstellen können müssten. „Die Zugrundelegung der ‚eingefrorenen‘ Werte stellt sicher, dass die Werte keinen Schwankungen unterliegen und sich die von den Maßnahmen Betroffenen auf das In- bzw. Außerkrafttreten dieser mit einem zeitlichen Vorlauf einstellen können„, erklärt die Pressestelle des saarländischen Gesundheitsministeriums auf SOL.DE-Anfrage.

Anmerkung der Redaktion:
In der ursprünglichen Fassung des Artikels hieß es, dass das Gesundheitsministerium sich zu der Problematik der Meldeverzüge trotz entsprechender SOL.DE-Anfrage vom vergangenen Montag noch nicht geäußert habe. Das hat sich inzwischen geändert. So haben wir die oben dargelegten Informationen am heutigen Mittwochnachmittag vom Ministerium erhalten.

Verwendete Quellen:
– eigene Recherche
– Daten des RKI
– Auskunft des Landkreises Saarlouis
– Bericht des WDR