Missbrauchsopfer an Uniklinik Homburg sollen entschädigt werden

Eine Expertenkommission hat den Missbrauchsskandal an der Uniklinik Homburg aufgearbeitet. Am heutigen Mittwoch (24. Mai 2023) legte diese ihren Abschlussbericht vor. Er sieht Entschädigungen für die Opfer vor. Vieles sei falsch gelaufen.
Die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Uniklinikum Homburg am Mittwoch (13.11.2019). Ein Untersuchungsausschuss des Landtages behandelt Mißbrauchsvorwürfe an der Uniklinik. Foto: BeckerBredel
Die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Uniklinikum Homburg am Mittwoch (13.11.2019). Ein Untersuchungsausschuss des Landtages behandelt Mißbrauchsvorwürfe an der Uniklinik. Foto: BeckerBredel

Aufarbeitungskommission empfiehlt Entschädigung für Missbrauchsopfer

Nach einem Skandal um sexuellen Missbrauch von Kindern zwischen 2010 und 2014 am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) sollen die Opfer finanziell entschädigt werden. Dafür sprach sich die Unabhängige Aufarbeitungskommission (UAK) in ihrem Abschlussbericht aus, der am heutigen Mittwoch veröffentlicht wurde. Rund zwei Jahre lang hatte sie die Geschehnisse analysiert.

Bis zu 50.000 Euro für Betroffene – auch Angehörige werden entschädigt

Betroffene sollten demnach je nach Schwere für erlittenes Unrecht Summen von 5.000 bis 50.000 Euro erhalten. Zudem sollten sie und ihre Angehörigen leichten Zugang zu dauerhaften therapeutischen Hilfen bekommen, so die Empfehlung. Darüber hinaus empfiehlt die Kommission, auch Angehörige, die bis heute unter den Geschehnissen leiden, finanziell zu berücksichtigen. „Es gibt Mütter, die sich massive Vorwürfe machen“, erklärte ein Sprecher. Zur Tatzeit waren die meisten Kinder fünf bis acht Jahre alt.

Missbrauch wurde erst Jahre später bekannt

Erst im Jahr 2019 war der Skandal um mutmaßlichen Missbrauch an Kindern in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am UKS in Homburg von 2010 bis 2014 öffentlich geworden. Der Täter soll ein 2016 gestorbener Assistenzarzt gewesen sein. Dieser soll die Kinder bei Untersuchungen missbraucht haben. Wegen 34 Verdachtsfällen ermittelte damals die Staatsanwaltschaft. Jedoch stellte sie das Verfahren nach dem Tod des Arztes ein. Die Eltern der Betroffenen waren jahrelang nicht informiert worden.

80 Verdachtsfälle registriert

Die Kommission unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, registrierte laut Bericht mehr als 80 Missbrauchsverdachtsfälle. Über 800 Schreiben gingen an möglicherweise betroffene Familien. 52 hätten darauf schriftlich geantwortet. Von 30 potenziell betroffenen Familien sei keine Rückmeldung gekommen.

Sieben Fälle mit besonders hoher Belastung

Die UAK verzeichnete sieben Fälle mit besonders hoher Belastung. Für die Betroffenen schlägt die Kommission dem UKS-Aufsichtsrat einen Betrag von je 50.000 Euro vor. In 31 weiteren Fällen empfiehlt sie dagegen Summen zwischen 5.000 und 30.000 Euro. Eine unabhängige Stelle sollte die Empfehlungen nun rasch umsetzen und Kontakt zu den bekannten Betroffenen aufnehmen.

Vertrauen in Uniklinik sei schwer beschädigt

„Das Vertrauen der betroffenen Menschen im Saarland in das Universitätsklinikum hat durch die Ereignisse schweren Schaden genommen“, teilte die UAK mit. Die wesentliche Ursache dafür sei jedoch vor allem „die ausgebliebene Information der Angehörigen nach der internen Aufdeckung der Verdachtsumstände im UKS“ gewesen.

Wer war für die Versäumnisse verantwortlich?

Wer für die Versäumnisse verantwortlich war, konnte auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss von 2020 bis Anfang 2022 nicht klären. Der Skandal zog keine personellen Konsequenzen nach sich. Ein Disziplinarverfahren gegen den Leiter der Klinik, in dem „der mutmaßlich pädosexuelle Arzt“ beschäftigt war, wurde eingestellt. Der jahrelange fruchtlose öffentliche Streit über Verantwortung und Konsequenzen habe viele enttäuscht und ermüdet, so die UAK.

Ärztliche Direktorin entschuldigte sich

Die ärztliche Direktorin am UKS, Prof. Dr. Jennifer Diedler, hatte sich im Oktober 2022 bei den Betroffenen und Angehörigen für erlittenes Leid entschuldigt. Sie übernahm dabei auch die institutionelle Verantwortung für sexuellen Missbrauch und für Verletzungen von Kindern im OP der Hals-Nasen-Ohren-Klinik 2012 in Homburg. Diedler hält ihre Position jedoch erst seit 2021 inne. Bei der Vorstellung erneuerte sie ihre öffentliche Entschuldigung und bedankte sich bei der UAK für die Einbindung in den Annäherungsprozess.

Fehlerkultur und Prävention fehlte

Die Versäumnisse im Umgang mit den Ereignissen gingen laut Kommission auch „auf strukturelle Mängel“ am Klinikum zurück. „Für Ärzte als mutmaßliche Täter, die Patienten missbrauchten, fehlte jegliche Vorstellungskraft und damit auch jegliche Prävention“, so die UAK. Zudem habe die Führungshierarchie „keine Kratzer am eigenen Image“ zugelassen. „Eine gelebte Fehlerkultur, die Kritik belohnt und nicht bestraft, war nicht erkennbar.“

Reform der Unternehmenskultur

Der 700 Seiten starke Abschlussbericht enthält insgesamt 39 Empfehlungen an den Aufsichtsrat. Darunter ist daher auch eine grundsätzliche Reform der Organisation mitsamt Unternehmenskultur und Binnenklima. Ziel müsse „eine wertschätzende Fehlerkultur im UKS sein“, hieß es.

„Unzuständigkeit“ bei Staatsanwaltschaft, Polizei etc.

Der Schutz der Kinder sei auch außerhalb des Krankenhauses nicht ausreichend gewährleistet gewesen. Laut der Experten habe es „einen Kreislauf der Nichtverantwortlichkeit und Unzuständigkeit“ unter anderem von Staatsanwaltschaft, Polizei, Jugendamt und Ärztekammern gegeben.

Jugendämter sollten Zentralstellen bei Kindeswohlgefährdungen sein

Die UAK appelliert daher an den saarländischen Gesetzgeber. Dieser solle sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Jugendämter künftig „als Zentralstellen für die Aufgabenwahrnehmung bei Kindeswohlgefährdungen“ dienen sollten. Dort sollten alle Informationen zusammenlaufen. Zudem sollten sie die Möglichkeit haben, gesetzlich Dritte einschalten zu können, um Gefährdungen abzuwenden.

Bemühungen Konsequenzen zu ziehen

Die Kommission würdigte allerdings die Anstrengungen des Klinikums und ihrer Beschäftigten, Konsequenzen aus den Vorfällen zu ziehen – vor allem die Weiterentwicklung des Schutzkonzeptes für Kinder. Wichtig als Grundlage für ein Frühwarnsystem seien zudem Risikoanalysen und Qualitätssicherung, so die Experten.

Aufsichtsrat und Vorstand wollen konkrete Maßnahmen erarbeiten

Der Aufsichtsrat und Vorstand des UKS bedankten sich im Rahmen der Abschlussveranstaltung bei der UAK für ihre Arbeit. Man wolle den Bericht in den kommenden Wochen intensiv durcharbeiten, um konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Diese sollen im Juli vorgestellt werden.

Der Leitende Polizeidirektor Peter Becker, stellvertretender Landesvorsitzender der Opferschutzorganisation „Weisser Ring“ im Saarland, bleibt Ansprechpartner für Betroffene. (Kontakt: [email protected] oder Telefon 0175-114 69 56).

Verwendete Quellen:
– Deutsche Presse-Agentur