Völklinger Hütte feiert Jubiläum – Wie dieser Mann mit einem Handgriff die Produktion beendete

Die Völklinger Hütte ist das einzige vollständig erhaltene Eisenwerk, das in die Welterbeliste der Unesco aufgenommen wurde. Nun feiert sie ihr 150-jähriges Bestehen. Unter den Gästen ist auch der Techniker, der den letzten Hochofen 1986 außer Betrieb nahm.
Manfred Baumgärtner arbeitete jahrelang in der Völklinger Hütte. Foto: Oliver Dietze/dpa-Bildfunk
Manfred Baumgärtner arbeitete jahrelang in der Völklinger Hütte. Foto: Oliver Dietze/dpa-Bildfunk

Hüttentechniker besucht Weltkulturerbe

Als Manfred Baumgärtner die Treppe in der Gebläsehalle hochsteigt und auf dem neuen Steg Richtung Sinteranlage ankommt, ist er sichtlich beeindruckt: „Toll, was sich hier geändert hat!“ sagt er zu Ralf Beil, dem Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte. „Das passt alles wunderbar zusammen!“

Kaum ein anderer vermag besser zu beurteilen als Baumgärtner, wie hier Altes und Neues miteinander kombiniert wurde. Schließlich hat der 80-Jährige als Hüttentechniker bis zuletzt in dem einstigen Eisenwerk gearbeitet, das vor genau 150 Jahren von dem Ingenieur Julius Buch gegründet worden war.

Hütte feiert 150-jähriges Jubiläum

Auf das Jubiläum am Wochenende und auch das 30-jährige Bestehen als Weltkulturerbe im kommenden Jahr blickt Baumgärtner mit besonderer Freude. „Das war für mich das Schönste und Beste, was passieren konnte“, sagt er. „Nachdem jahrelang nicht feststand, was mit der Hütte passiert, war das für mich wie ein Sechser im Lotto.“

Denn von diesem Zeitpunkt an habe er mit seinen jahrelangen Erfahrungen als Hochöfner, Industriemeister und Hüttentechniker bei dem Aufbau zum Weltkulturerbe mithelfen und mitberaten können. 27 Jahre lang, bis zu seinem 80. Geburtstag im vergangenen Jahr, habe er als Gästeführer unzählige Besucher:innen bei rund 2.000 Führungen mit der Geschichte des Industriedenkmals vertraut gemacht.

Mit einem Handgriff war alles zu Ende

Und die ist mit Manfred Baumgärtner eng verbunden. Er hatte am 4. Juli 1986 um 12.30 Uhr mit einem Handgriff das Produktionsende besiegelt – und damit die mehr als 100 Jahre lange Tradition der Eisenerzeugung an der Saar. Einen Knopf habe er damals nicht gedrückt, sondern einen Schalter umgelegt. „Ich habe den Ofen einfach zugefahren, da war der Wind weg. Und wenn kein Sauerstoff mehr reinkommt, gibt es auch keine Verbrennung mehr.“

Baumgärtner im Leitstand. Foto: Oliver Dietze/dpa-Bildfunk

Im einstigen Hochofenleitstand erzählt er, was von dort aus gesteuert, überwacht und bedient wurde. Auch eine Verbindung zur Gebläsehalle gab es. „Das ist neu für mich, diesen Zusammenhang kannte ich noch nicht“, sagt Generaldirektor Ralf Beil.

Leitstand soll für Besucher zugänglich werden

Dass der Bereich mit Leitstand wieder betreten werden kann, ist neu, jahrelang war er baufällig gewesen. „Ich freue mich so, dass das wieder hergerichtet wurde! Das war mein größtes Anliegen“, sagt der 80-jährige Baumgärtner. Eigentlich sei er ja Realist und habe irgendwann die Erinnerungen an die frühere Arbeitsstätte abgehakt. „Aber als ich wieder in den renovierten Leitstand gekommen bin, habe ich mich direkt wieder zu Hause gefühlt.“

Das sind die Pläne

In absehbarer Zeit sollen auch die Hüttenbesucher:innen diese Räumlichkeiten erleben – und noch viel mehr. Ralf Beil, der seit drei Jahren Generaldirektor des Weltkulturerbes ist, legt die Geschichte der Hütte im wahrsten Sinne des Wortes immer weiter frei. Den Auftakt hatte dafür die Gebläsehalle gemacht: Dort wurden unter seiner Leitung Schächte geöffnet, alle Einbauten und Teppichböden entfernt und 40.000 historische Fliesen zum Vorschein gebracht.

Generaldirektor Ralf Beil (rechts) hat große Pläne für die Hütte. Foto: Oliver Dietze/dpa-Bildfunk

Im Juli soll ein Weg von der Sinteranlage, in der Reststoffe des Verhüttungsprozesses wiederverwendbar gemacht wurden, bis zur oberen Ebene der Möllerhalle, wo die Hochofenmischung aus Eisenerz, Sinter, Schrott und Kalk gelagert wurde, ermöglicht werden. Im Oktober steht die Erschließung des Wasserhochbehälters und die Eröffnung des neuen Eingangsbereiches an. Mit dem Pumpenhaus und den Obergeschossen des Wasserhochbehälters werden dann weitere Räume erschlossen – ebenso wie eine „einzigartige Promenade architecturale“ zur Gebläsehalle. Im November sollen dann auch Trockengasreinigung und Hochofenleitstand erstmals für die Öffentlichkeit erlebbar sein.

Wird aus dem Kraftwerk 1 eine Naturbühne?

Beils Pläne gehen noch weiter. Aktuell überlegt er, wie man das einstige Kraftwerk 1, in dem im Laufe der Jahre ein kleiner Wald entstanden ist, in eine Art Naturbühne verwandeln kann mit Platz für Kunst und Konzerte und als touristische Erweiterung.

Sein Konzept: „Dieser Ort soll kein Durchlauferhitzer sein.“ Es gehe nicht darum, hier nur die Leute durchzuschleusen, sondern sie sollen „ein tiefes Verständnis für diesen gesamten Organismus und auch seine Veränderung entwickeln“. Anders formuliert: „Dieser Ort lebt davon, dass man ihn entdecken und in die Tiefe der Anlage einsteigen kann.“ Denn je tiefer man eindringe, umso mehr sei man davon gebannt.

Baumgärtner lässt die Hütte nicht los

Eine Erfahrung, die auch Manfred Baumgärtner immer wieder gemacht hat, wenn er die Besuchergruppen herumführte: „Sie waren immer ganz erschlagen von der Anlage und wie eng hier alles beisammen liegt. Das hat sie fasziniert.“

1994 ernannte die Unesco die Völklinger Hütte zum Weltkulturerbe. Foto: Oliver Dietze/dpa-Bildfunk

Bis heute lässt das imposante Industriedenkmal den 80-Jährigen nicht los. Auch dann nicht, wenn er zu Hause ist: „Wenn ich im Wohnzimmer aus dem Fenster gucke, habe ich alles im Blick!“, erzählt er. Sentimental mache ihn dieser Anblick jedoch nur ein ganz kleines bisschen: „Es macht mich eher stolz, dass ich dabei war und daran mitgewirkt habe! Es war schließlich mein Lebensinhalt, vom Ende der Schulzeit bis zum Ende meines Lebens.“

Ministerin: Denkmäler „enorm wichtig“

Für die saarländischen Kultusministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) sind Denkmäler wie die Völklinger Hütte „enorm wichtig“ für unsere Gesellschaft. „Sie sind Zeitzeugen, die wir erleben und begehen können, sie sind Teil unseres kulturellen Gedächtnisses und Sehnsuchtsorte zugleich“, sagte sie auf dpa-Anfrage.

Manfred Baumgärtner hält es jedenfalls für absolut angemessen, dass die Völklinger Hütte von der Unesco 1994 zum Weltkulturerbe ernannt wurde. Und auch jeder der mehr als 100 Millionen Euro, der bislang in die Sanierung geflossen ist, sei gut angelegt: „Burgen und Kirchen haben wir genug“, sagt er. „Aber dieses Hüttenwerk ist einmalig.“

Verwendete Quellen:
– Deutsche Presse-Agentur