Von der Saar-Uni zum Top-Job bei Google: Mit nur einer Bewerbung (die gar nicht für Google war)

Aprajita Jain hat einen Top-Job im Google-Headquarter in den USA. Studiert hat sie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Sie bezeichnet sich selbst als “Global Soul mit indischen Wurzeln und deutscher Erziehung”. Wie sie zu Google kam? Das ist ihre Geschichte.
Aprajita Jain vor dem Google Headquarter in Mountain View. Foto: privat/Google
Aprajita Jain vor dem Google Headquarter in Mountain View. Foto: privat/Google

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Weitgereiste Fotowand: Von der Studentenbude nach Mountain View

Ihr Job führt Aprajita Jain rund um den Erdball. Kein Wunder: Als Chief Brand Marketing Evangelist bei Google spricht sie regelmäßig mit den bekanntesten Unternehmen. Louis Vuitton, die Lufthansa oder Coca-Cola gehören dazu. „Ich habe immer schon gerne Fotos und Postkarten von meinen Reisen gesammelt“, erzählt Aprajita im Gespräch mit SOL.DE. Die Erinnerungen pinnt sie dann an eine Bilderwand. Die hatte sie vor gut zwanzig Jahren zum ersten Mal in ihrer Studentenbude in Saarbrücken angebracht. Heute hängt die Wand in ihrem Haus an der US-Westküste, in der Nähe von San Francisco.

Aprajita lacht: „Wenn ich bei einem Brand nur einen Gegenstand retten könnte, wäre das wahrscheinlich diese Fotowand.“ Heute ist sie noch voller gepinnt mit Reise-Erinnerungen als damals – in Saarbrücken.

Aprajita überzeugt die ganz großen Firmen von Google

Als Aprajita im Jahr 1999 ihr Studium an der Universität des Saarlandes begonnen hatte, wäre sie niemals auf die Idee gekommen, irgendwann für Google im Google-Headquarter im kalifornischen Mountain View zu arbeiten.

Sie überzeugt die CEOs und Marketingchefs großer Unternehmen wie Coca-Cola, Procter & Gamble (Ariel, Gillette, Pampers und andere Marken), Louis Vuitton, BMW oder Porsche davon, Millionenetats aus der TV-Werbung zu Google-Produkten wie Youtube oder Google Ads umzuschichten, da immer mehr Konsumenten zu digitalen Medien umsteigen. Damit erreichen die Unternehmen ihre Zielgruppen viel genauer und können ihren Werbeerfolg besser messen“, beschreibt sie die Vorteile.

Was ihr besonders an Saarbrücken gefallen hat

Seit fast 19 Jahren arbeitet Aprajita für den Suchmaschinen-Konzern. Seit drei Jahren als Chief Brand Marketing Evangelist. An der Universität des Saarlandes hat sie von 1999 bis 2003 BWL studiert – Schwerpunkt Marketing. Als Tochter indischstämmiger Eltern, die das Edelsteingeschäft nach Idar-Oberstein gelockt hatte, war die kaum 90 Kilometer entfernte Uni in Saarbrücken eine naheliegende Option für ihr Studium. Dazu lehrte dort der weit über Saarbrücken hinaus renommierte Professor Joachim Zentes internationales Marketing-Management.

Ihrer Ausbildung an der Saar-Uni verdankt Aprajita sehr viel, sagt sie. Vor allem die Freiheit des Denkens habe sie geschätzt. Amerikanische Hochschulen seien meist viel schulischer.

Aber auch Saarbrücken als Stadt hat ihr damals gut gefallen. „Meine Studentenwohnung hatte ich auf halbem Weg zwischen Uni und Saarbrücker Innenstadt“, erinnert sich Aprajita. „Ich habe es geliebt, an den Geschäften auf der Bahnhofstraße entlang zu flanieren.“ Nach Schule und Abi in dem mit knapp 30.000 Einwohnern beschaulichen Idar-Oberstein war die saarländische Landeshauptstadt eine größere Nummer. Das Bummeln in der Bahnhofstraße konnte Aprajita dennoch nicht bremsen: Nach 8 Semestern hatte sie ihr BWL-Diplom in der Tasche. Das war 2003.

Nur eine einzige Bewerbung geschrieben

Was nun? Aprajita schrieb nur eine einzige Bewerbung, was übrigens bis heute so geblieben ist – und die schickte sie nicht an Google. Weil sie schon immer gerne reiste, lag die Lufthansa damals nahe. Marketing für eine große Fluggesellschaft hätte sie interessiert. Zur Sicherheit gab sie ihren Lebenslauf noch bei der Job-Plattform monster.com ein: Tochter indischer Eltern, Abi in Idar-Oberstein, Marketingabschluss an der Uni in Saarbrücken.

Während Lufthansa ihr einen Korb gab, interessierte sich ein anderes Mega-Unternehmen für sie. Eine Recruiting-Firma, die für Google arbeitete, meldete sich. Ob sie sich die Arbeit für das Unternehmen aus dem Silicon Valley vorstellen könne? Aprajita reagierte ungläubig: „Ich wollte Marketing machen, was sollte ich bei einem Tech-Konzern? In den ersten beiden Telefonaten stellte ich viel mehr Fragen als der Interviewer“, lacht sie. Die Einladung zur persönlichen Vorstellung ins kalifornische Mountain View nahm sie trotzdem an. Nach sieben weiteren Gesprächen im Google Headquarter hatte sie den Job.

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Im Jahr 2000 führte Google sein Werbesystem AdWords ein (heute: Google Ads). 2003 – als Aprajita ihre Bewerbungsgespräche führte – ging Googles Display Network an den Start. Von da an krempelte der Suchmaschinen-Konzern den weltweiten Werbemarkt um – und Aprajita war quasi vom Start weg dabei. Ironie der Geschichte: Zur Lufthansa kam sie mittlerweile doch noch – allerdings auf der anderen Seite des Tisches. Die Chefs der Fluggesellschaft gehören heute zu ihren Gesprächspartnern – als Google-Managerin.

Ihre „indische Zielstrebigkeit“ beim Studium in Saarbrücken hatte in den USA übrigens erst einmal unerfreuliche Konsequenzen: „Weil ich schon nach acht Semestern fertig war, zählte mein Abschluss in den Vereinigten Staaten nur als Bachelor – für den Master hätte ich mir einfach nur mehr Zeit lassen müssen“, sagt Aprajita. Den höheren Abschluss holte sie dann – begleitend zum Google-Job – in Berkeley und später nochmal bei Wharton an der University of Pennsylvania nach.

Warum Google eigentlich „Family Business“ ist

In ihrem LinkedIn-Profil beschreibt sich Aprajita selbst als „Global Soul with Indian Roots and a German Upbringing“. Und wann zeigt sich ihre deutsche Erziehung? Aprajita überlegt kurz: „Pünktlichkeit ist doch ein sehr deutsches Konzept“, sagt sie. „Ich bin immer auf die Minute pünktlich, ob im Job oder bei einer privaten Einladung.“ Bei Google würden Besprechungen meist 5 Minuten später starten. „Wir nennen das: The Google Five. Man holt sich noch einen Kaffee oder macht noch schnell was.“ Ihre Kolleg:innen würden dann immer sagen: „Du bist so deutsch.“ Ihre indische Seite zeige sich dagegen beim Improvisieren und im effizienten Arbeiten: „Inder sind es gewohnt, aus wenig viel zu machen“, sagt Aprajita.

Aprajita bezeichnet sich selbst als „Global Soul“ – mit indischen Wurzeln und deutscher Erziehung. Foto: privat

Das Aufwachsen und Pendeln zwischen den Welten ist möglicherweise sogar ihr persönliches Erfolgsgeheimnis: In ihrem Job sitzt sie auf der ganzen Welt Menschen aus sehr unterschiedlichen Nationen gegenüber. „Es fällt mir leicht, mich auf verschiedene Mentalitäten einzustellen“, sagt Aprajita. Ein Grund, warum sie es bevorzugt, Teams mit Menschen aus möglichst vielen Nationen zu besetzen. Übrigens arbeitet mittlerweile auch ihre jüngere Schwester für den Suchmaschinen-Primus in Mountain View. Google ist sozusagen jetzt „Family Business“.

Ihre Eltern leben auch heute noch in Idar-Oberstein. Auf ihren Europa-Reisen schaut Aprajita gerne zu Hause vorbei. Auch unser Interview führen wir per Videokonferenz zwischen dem rheinland-pfälzischen Städtchen und Saarbrücken. Aprajita kommt gerade von einer Google-Veranstaltung in Amsterdam. Mit ehemaligen Studienkolleg:innen der Saarbrücker Uni hält sie weiter Kontakt.

„Second Hand Innovation“ statt Risiko

Durch ihre häufigen Stippvisiten sieht Aprajita die Entwicklung in Deutschland sozusagen im Zeitraffer. Stichwort Digitalisierung: Sie nimmt durchaus den „Hunger nach mehr“ hierzulande wahr, sagt sie. Gleichzeitig seien die Deutschen sehr vorsichtig. Häufig gehe es um Bedenken zum Thema Datenschutz. Die Google-Managerin ist überzeugt, dass Deutschland riskiere, Chancen zu verpassen. „Daten sind heute der wichtigste Rohstoff, zum Beispiel auch für KI-Entwicklungen“, sagt sie.

Was deutsche Unternehmer:innen zudem häufig ausmache, sei der Wunsch nach „Second Hand Innovation“, wie sie diese nennt. Deutsche Firmen wollten häufig erst den Nachweis, dass eine Idee irgendwo schon einmal funktioniert habe, bevor sie selbst investierten. „Second hand“ eben – statt mit höherem Risiko voranzugehen.

Und wie ist der Zeitraffer-Blick auf die Themen Integration und Willkommenskultur? Das Straßenbild habe sich während der vergangenen beiden Jahrzehnte auf jeden Fall verändert, sagt Aprajita. „Heute begegnet man in Deutschland mehr Menschen mit Migrationshintergrund.“ Als sie studiert habe, sei das eher noch die Ausnahme gewesen.

Google fasziniert sie täglich neu

Dennoch nimmt sie weiter eine gewisse deutsche Zurückhaltung wahr. Erst kürzlich hat sie diese wieder erlebt, als sie mit ihren indischen Eltern auf Suche nach einer Location für eine größere Familienfeier war. „Es gibt dieses Abwarten zum Anfang einer Begegnung – sprechen die überhaupt deutsch?“, beschreibt Aprajita die Situation. Ihr Eindruck: Andernorts gehe man unbefangener und interessierter mit Menschen um, wenn sie sichtbar eine andere Herkunft haben. Spannende Einblicke einer „Global Soul“.

Und was fasziniert sie nach 18 Jahren noch an Google? „Es ist kein Tag wie der andere“, überlegt sie, „und die interessanten Menschen mit ihren spannenden Ideen.“ Erst kürzlich habe sie einen Kollegen kennengelernt, der Astrophysiker war, bevor er zu Google kam. So wird Aprajita weiter für Google die Welt bereisen. Die Bilderwand, die aus ihrer Saarbrücker Studentenbude stammt, wird sich also weiter füllen.

Verwendete Quelle:
Interview mit Aprajita Jain