Energiespar-Debatte: Kommt nun doch ein generelles Tempolimit auf Autobahnen?

Deutschland muss sich aufgrund der jüngsten Entwicklungen rund um den Ukraine-Krieg und die Verhandlungen mit Russland verstärkt mit einem möglichen Lieferstopp von russischem Gas und Öl auseinandersetzen. Um weniger von den russischen Energielieferungen abhängig zu sein, werden daher nun die Forderungen nach einem Tempolimit auf Autobahnen lauter.
Schon ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen, könnte über eine Milliarde Liter Benzin pro Jahr sparen. Foto: picture alliance/dpa | Boris Roessler
Schon ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen, könnte über eine Milliarde Liter Benzin pro Jahr sparen. Foto: picture alliance/dpa | Boris Roessler

Deutsche Energieversorgung auf wackeligen Beinen

Nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigt hatte, für die russischen Gaslieferungen nur noch Rubel zu akzeptieren, rief Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am gestrigen Mittwoch (30. März 2022) die Frühwarnstufe des 2019 veröffentlichten „Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland“ aus. Inzwischen hat Putin Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zwar telefonisch zugesichert, dass das Gas voerst weiter in Euro bezahlt werden könne. Dennoch muss sich Deutschland immer ernsthafter mit einem russischen Gas- oder Öl-Lieferstopp auseinandersetzen.

Russischer Lieferstopp ist realistisches Szenario

Dass ein solcher Lieferstopp derzeit ein realistisches Szenario ist, betonte auch Helmut Dedy, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. „Wir wollen keine Hysterie, aber ein stärkeres Bewusstsein der Menschen und der Wirtschaft, dass es zu einer Krise großen Ausmaßes kommen kann“, so Dedy am heutigen Donnerstag.

Deutschland muss Energie sparen

Um weniger von den russischen Gas- und Öllieferungen abhängig zu sein, hat die Bundesregierung Verbraucher:innen und Unternehmen bereits zum Energiesparen aufgerufen. Auch Dedy unterstützt die von Wirtschaftsminister Habeck ausgerufene Frühwarnstufe. „Wir müssen auf allen Ebenen und mit allen verfügbaren Mitteln Vorkehrungen treffen, um uns auf einen Lieferstopp aus Russland vorzubereiten. Das gilt sowohl strategisch als auch ganz praktisch“, so Dedy.

Genauso sehen das auch zahlreiche weitere Wirtschafts-Expert:innen. Veronika Grimm und Monika Schnitzer, beide Mitglieder im „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, erklärten am Donnerstag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, dass die Menschen in Deutschland jetzt dringend weniger verbrauchen müssten.

Forderungen nach Tempolimit auf Autobahnen werden lauter

Um sofort Energie zu sparen, werden die Forderungen nach einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen nun immer lauter. „Wir müssen ab sofort noch mehr auf den Verbrauch von Energie schauen. Deshalb plädieren wir dafür, jetzt ein Tempolimit zu prüfen. Damit könnten wir sofort ein Einsparpotenzial heben“, so Dedy in seiner Funktion als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags.

Auch die Ökonominnen Grimm und Schnitzer sehen die Zeit für ein Tempolimit gekommen. Es sei nun wichtig, Signale zu setzen, die aufzeigen, dass es im Falle eines Lieferstopps russischer Energielieferungen eine brisante Lage geben könnte. Ein solches Signal könnte die Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen sein. Menschen sollten jetzt Fahrgemeinschaften bilden, langsamer fahren und wenn möglich, den öffentlichen Nahverkehr nutzen.

Auch Jens Hilgenberg, der Leiter der Verkehrspolitik beim Umweltverband „BUND“ fordert ein Tempolimit. „Um die Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren, müssen sofort Erfolge beim Energiesparen realisiert werden. Im Verkehrsbereich sind dafür kurzfristig wirksame Maßnahmen, wie ein generelles Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, autofreie Sonntage und ein Stopp von Kurzstreckenflügen sofort umzusetzen“.

So viel Benzin könnte durch ein Tempolimit gespart werden

Durch die Einführung eines Tempolimits könnte man die Importabhängigkeit von russischem Öl laut den Zahlen des Bundesumweltamtes merklich verringern. Ein Durchschnitts-Auto verbraucht demnach bei einer Geschwindigkeit von 90 km/h auf gleicher Strecke bereits 23 Prozent weniger Sprit als mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h. Selbst wenn man ein generelles Tempolimit von 120 km/h auf deutschen Autobahnen einführen würde, könnte man jährlich mehr als eine Milliarde Liter Benzin einsparen. Bei einem Limit von 130 km/h wären es immer noch rund 600 Millionen Liter pro Jahr.

FDP stemmt sich offenbar weiter gegen Tempolimit

Bereits bei den Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP war die Einführung eines generellen Tempolimits auf deutschen Autobahnen am Widerstand der Liberalen gescheitert. Auch im Zuge der jetzigen Energiespar-Debatte scheint ausgerechnet der kleinste Koalitionspartner (die FDP erhielt bei der Bundestagswahl lediglich 11,5 Prozent der Stimmen) das Tempolimit weiter zu blockieren.

Verwendete Quellen:
– Deutsche Presse-Agentur
– Daten des Bundesumweltamtes
– Berichte von „Tagesschau“, „Tagesspiegel“, „ntv“ und „ZDF“
– eigene Recherche