Jeanne Dillschneider: Ist sie der Glücksfall für die krisenerprobten Saar-Grünen?

Mit Jeanne Dillschneider ist ein neuer Stil bei den Grünen im Saarland eingekehrt. Plötzlich herrscht produktive Ruhe in der Krisen-Partei. Warum das so ist? Wir haben die junge Landesvorsitzende "auf einen Kaffee" getroffen - die neue Serie von SOL.DE.
Auf einen Kaffee mit Jeanne Dillschneider: Für das Gespräch hat sie Lilli's Kuchenwerkstatt am St. Johanner Markt gewählt. Foto: Christine Funk
Auf einen Kaffee mit Jeanne Dillschneider: Für das Gespräch hat sie Lilli’s Kuchenwerkstatt am Sankt Johanner Markt gewählt. Alle Fotos: Christine Funk
Auf einen Kaffee mit Jeanne Dillschneider: Für das Gespräch hat sie Lilli's Kuchenwerkstatt am St. Johanner Markt gewählt. Foto: Christine Funk
Auf einen Kaffee mit Jeanne Dillschneider: Für das Gespräch hat sie Lilli’s Kuchenwerkstatt am Sankt Johanner Markt gewählt. Alle Fotos: Christine Funk

Jeanne Dillschneider: Drei Jobs müssen in einen Tag passen

Zwei Minuten vor unserem Termin betritt Jeanne Dillschneider das Café. Wir haben uns in Lilli’s Kuchenwerkstatt am St. Johanner Markt verabredet. Warum gerade hier? „Das ist eines meiner Lieblingscafés, im Sommer sitze ich sehr gerne draußen“, sagt sie, „und der Kuchen ist grandios.“ Jetzt ist Winter – und erst einmal beschlägt ihre Brille, als sie aus dem nasskalten Novemberwetter ins warme Café tritt.

10 Fragen an Jeanne Dillschneider: In einer Schnellfragerunde hat uns die Grünen-Politikerin beantwortet, wo sich ihr liebster Ort im Saarland befindet oder wo sie sich selbst in fünf Jahren sieht.


Jeanne Dillschneider hat drei „Jobs“. Fulltime arbeitet sie als Rechtsanwältin in einer großen Saarbrücker Kanzlei. Ihre Spezialgebiete sind Datenschutz und Datensicherheit. Dazu ist sie eine von zwei Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Saarbrücker Stadtrat – und seit Mai dieses Jahres Landesvorsitzende der Saar-Grünen, ebenfalls in der Doppelspitze.

Am Vorabend war sie beim Konzert von Shirin David

Wie das geht? „Ich bin sehr organisiert“, sagt Jeanne Dillschneider. „Ich muss viel planen und meine Ressourcen einteilen.“ Dabei sei ihr Schlafen „heilig“. Sie lacht: „Ich muss acht Stunden schlafen, sonst geht bei mir nichts.“ Ihre Freizeit plant sie sich aktiv ein. „Da muss ich den ein oder anderen Parteitermin auch mal absagen“, sagt sie und schiebt nach: „Aber, so isses.“

Zu unserem Gespräch kommt Jeanne Dillschneider quasi auf die Minute. Bei drei "Jobs" ist Organisation für sie überlebenswichtig. Foto: Christine Funk

Zu unserem Gespräch kommt Jeanne Dillschneider quasi auf die Minute. Bei drei „Jobs“ ist Organisation für sie überlebenswichtig.

Klingt unverkrampft. An diesem Tag hat sie Urlaub. Am Vorabend war sie mit ihrem Bruder in Stuttgart – zum Konzert von Shirin David. „War super“, sagt sie. Auf ihrem Instagram-Kanal zeigt sich Jeanne Dillschneider fröhlich feiernd beim Konzert der Deutsch-Rapperin und „Voice of Germany“-Jurorin.

Was sie an Shirin David fasziniert? „Ich höre extrem gerne Musik. Musik ist etwas, was ich selber gerne mache und gerne höre“, überlegt sie. „Ich mag Musik, die ein bisschen empowered“. Außerdem habe Shirin David feministische Texte. Jeannes Playlist findet ihr unten.

Bei Instagram gibt sie auch private Einblicke

In ihrem Instagram-Konto gibt die Grünen-Politikerin auch private Einblicke. Überlegt sie manchmal, was sie posten darf und was nicht? „Manchmal habe ich den Gedanken schon, aber ich widersetze mich diesem dann sehr bewusst.“

Die 27-Jährige will sich nicht verbiegen lassen: „Wir reden so oft darüber, dass wir viel mehr junge Menschen und junge Frauen in der Politik haben wollen.“ Wenn man sich dann aber wie eine junge Frau oder wie ein junger Mensch verhalte, „dann ist sofort die Reaktion: Oh, das darf man nicht.“ Das will sie nicht an sich heranlassen: Politikerinnen und Politiker seien „ganz normale Menschen, die auf Konzerte gehen oder ganz normale Dinge tun in ihrem Alltag“.

Zuhören findet Jeanne Dillschneider wichtig. Erst einmal die die Argumente wirklich in Gänze erfassen "und mir dann Gedanken zu machen". Foto: Christine Funk

Zuhören findet Jeanne Dillschneider wichtig. Erst einmal die Argumente wirklich in Gänze erfassen „und mir dann Gedanken zu machen“.

Erstaunlich produktive Ruhe bei den Saar-Grünen

Jeanne Dillschneider ist Halb-Französin. Der Vater der gebürtigen Orscholzerin ist Deutscher, ihre Mutter Französin. Kennengelernt haben sich ihre Eltern über die deutsch–französische Partnerschaft ihrer Gemeinden. „Ich bin manchmal schon ein Sturkopf“, sagt Jeanne Dillschneider über sich selbst, „das ist so die französische Seite. Vielleicht auch die revolutionäre Seite„, lacht sie.

Diese revolutionäre Seite hat ihre Partei schon kennengelernt. Seit Mai ist Jeanne Dillschneider – nach Kampfabstimmung – Landesvorsitzende der Saar-Grünen in der parteitypischen Doppelspitze. Seither ist eine erstaunliche, produktive Ruhe in den lange Zeit chaos- und krisengeschüttelten Landesverband eingekehrt. Hubert Ulrich, ewiger Störenfried und Grünen-Zombie aus dem mächtigen Saarlouiser Ortsverein, verhält sich ruhig.

Mit Jeanne Dillschneider an der (Doppel-)Spitze ist auch ein neuer Politikstil eingezogen: “Dass wir im Team arbeiten, hat viel verändert”, sagt sie. Foto: Christine Funk

Mit Jeanne Dillschneider an der (Doppel-)Spitze ist auch ein neuer Politikstil eingezogen: „Dass wir im Team arbeiten, hat viel verändert“, sagt sie.

Ein Glücksfall für die krisenerprobten Saar-Grünen?

Stellt sich die junge 27-Jährige als Glücksfall für ihre Partei heraus? Wirkt der „Dillschneider-Faktor“? So will sie es „absolut nicht nennen“. Sie blickt über ihre Kaffeetasse und überlegt kurz: „Dass wir im Team arbeiten, hat viel verändert.“ Mit Jeanne Dillschneider ist aber auch ein neuer Stil eingekehrt. Sie selbst beschreibt das so: „Wir schaffen es bei den saarländischen Grünen immer besser, wirklich offen über Dinge zu reden und dann den Schritt weiterzugehen und zusammenzuarbeiten.“

Auch wenn sie den Begriff nicht mag: Einen Hinweis auf den Dillschneider-Faktor, auf ihren persönlichen Politikstil, findet man in ihrem Podcast „Kurz Kommunal“, zu dem sie sich Gäste zum 15-Minuten-Talk einlädt, abwechselnd mit ihrer Co-Vorsitzenden der Saarbrücker Stadtrats-Grünen.

Zuhören können: Ist das Jeanne Dillschneiders Erfolgsgeheimnis?

Was auffällt: Auch sogenannte politische Gegner anderer Parteien fühlen sich hörbar wohl in dem Talk-Format – und im Gespräch mit Jeanne Dillschneider. Sie zeigt sich offen für andere Meinungen. Sie grätscht weder dazwischen noch ist es ihr wichtig, ihre eigene Sicht der Dinge zu platzieren. Jeanne Dillschneider ist interessierte Zuhörerin.

Ist dieses Zuhören und sich auf andere Meinungen einlassen zu können, das Erfolgsgeheimnis von Jeanne Dillschneider – auch an der Spitze der Saar-Grünen? „Ja, könnte sein“, überlegt sie kurz, „vielleicht liegt es beim Podcast auch daran, dass ich immer Kuchen mitbringe“, lacht sie.

Manches komme aus ihrer juristischen Ausbildung. Also: Argumente gegeneinander abzuwägen, nicht sofort zu werten, „sondern die Argumente wirklich in Gänze erst einmal zu erfassen und mir dann Gedanken zu machen“. Aus der Kommunalpolitik komme ihr Pragmatismus hinzu: „Es geht häufig um die gleichen Ziele, es sind nur unterschiedliche Wege dorthin.“

Warum sie in der Politik manchmal Menschlichkeit vermisst

In der Politik fehlt es ihr manchmal an Menschlichkeit – und „einfach mal Fünfe gerade sein zu lassen, zuzuhören und sich seine Meinung zu bilden und den anderen nicht direkt anzugreifen“. Jeanne Dillschneider hat sich vorgenommen, authentisch zu bleiben – und auch einen Blick in ihre Seelenlage zuzulassen. Als ihre Partei sie vor ein paar Wochen zur Spitzenkandidatin für die Saarbrücker Stadtratswahl 2024 nominierte, bekannte sie sehr offen: „Ich bin dankbar für alle, die mir manchmal mehr zutrauen, als ich mir selbst.“

Öffnet soviel Ehrlichkeit nicht Angriffsflächen für politische Gegner:innen? Jeanne Dillschneider findet es legitim, „als Politikerin zu sagen, dass ich auch mal Dinge hinterfrage oder mich selbst hinterfrage oder denke: Bin ich der Aufgabe gewachsen?“ Das bedeute ja nicht, „dass ich das nicht kann“. Dieses Hinterfragen findet sie „ganz gesund“ – auch „um besser zu werden oder zu sehen, was man anders machen kann – und eben auch zu wachsen“. Eine Einstellung, die sie bewahren will: „Wir machen Politik für Menschen, für ganz normale Menschen. Normale Menschen haben auch mal Selbstzweifel und denken sich: Kann ich das?“

Sie habe zum Glück Menschen in ihrem Umfeld, die dann zu ihr sagten: „Jetzt komm, mach doch! Du kriegst das schon hin! Hör auf, dir jetzt einzureden, dass du das nicht kannst.“

Eine Leichtigkeit, die sich Jeanne Dillschneider bewahren will

Wer Jeanne Dillschneider bei ihrer politischen Arbeit zuschaut, nimmt eine gewisse Leichtigkeit wahr. Manches wirkt fast spielerisch, unverkrampft. Es ist ein Bild, dem sie zustimmen kann. Was ihr wichtig ist: „Ich glaube, wir haben häufig die Erwartung an Politiker:innen, dass sie immer das Richtige sagen müssen. Sie dürfen sich nicht versprechen. Sie müssen immer perfekt und fit sein. Sie müssen alle Antworten auf alle Fragen haben. Das ist ja faktisch nicht so.“ Diese unrealistische Erwartung rückt sie gerne zurecht: „Wir haben Teams hinter uns. Wir üben vieles ein.“ Jeanne Dillschneider will zeigen, „dass jeder Mensch Politik machen kann – und sollte.“

Sie pflege deshalb auch „eine gewisse Nachlässigkeit mit mir selber„, sagt sie. Es sei ihr wichtig zu vermitteln: „Ja, ich bin ein junger Mensch in der Politik, ich darf mich auch wie ein junger Mensch verhalten und vielleicht auch mal irgendetwas posten, was nicht super ernst ist.“

Jeanne Dillschneider ist keine Klischee-Grüne. Auf Fotos sieht man sie häufig elegant, mit Jackets in kräftigeren Farben. Sie trägt manikürte Fingernägel – worüber sich der ein oder andere durchaus aufrege, bekennt sie. Auf Äußerlichkeiten festgelegt oder gar reduziert zu werden, mag sie nicht: Das sage doch „überhaupt nichts über Kompetenz oder Fähigkeiten aus“.

Wer Jeanne Dillschneider googelt, erhält als Top-Suchvorschläge: „Jeanne Dillschneider Wikipedia“, „Instagram“, „Eltern“ und „Freund“. Ein Blickwinkel, der sie sichtlich nervt: „Warum steht da jetzt nicht: ‚Jeanne Dillschneider Themen‘ oder ‚Jeanne Dillschneider Innenpolitik‘ oder ‚Landesvorsitzende‘, sondern mein Freund?“

Sie findet es „interessant“, dass bei Frauen das Privatleben häufig spannender sei als bei Männern. „Bei Frauen ist es offenbar doch so, dass man wissen will, wer der zugehörige Mann ist.“ Ein Grund mehr, warum sie sich bei den Grünen neben ihren Fachthemen Innenpolitik, Wirtschaft und Digitalisierung auch Feminismus hinzugewählt hat.

Wie sie mit Feindseligkeit gegen die Grünen umgeht

Zwar läuft es bei den Saar-Grünen seit Monaten erstaunlich rund. Grüne zu sein, ist im Augenblick dennoch nicht einfach. Auf die Partei prasselt ein regelrechter Hass nieder, seit diese in der Ampel mitregiert. Jeanne Dillschneider berichtet von „Feindseligkeit“, die sie wahrnimmt. „Aber ich wäre gerade jetzt bei keiner anderen Partei lieber als bei den Grünen“, bekennt sie. Gerade dann, wenn man so angegriffen und die eigenen Werte so hinterfragt werden und es Gegenwind gibt, gerade dann kommt es darauf an, Haltung zu zeigen.“

Ob die Ampel in den verbleibenden zwei Jahren noch die Kurve bekommen wird? Das hänge vor allem von der FDP ab, findet sie: „Die Grünen haben aus meiner Sicht in der Bundesregierung viel Verantwortung gezeigt, auf der anderen Seite muss man auch hart für seine Themen kämpfen – und zwar genauso hart wie die FDP für E-Fuels kämpft“, schiebt sie grinsend nach.

Ein Aprilscherz mit ungeahnten Folgen

Jeanne Dillschneider lacht gerne. „Ich bin schon ein Mensch, der humorvoll ist“, beschreibt sie sich selbst. „Ich versuche auch witzig zu sein. Ich bin schon ein kreativer Mensch.“ Manchmal vielleicht etwas zu kreativ: In einem Aprilscherz hatte sie sich per Instagram-Post von Anke Rehlinger zur Innenministerin erklären lassen. Die frisch gewählte Landesregierung war da gerade in der Findungsphase.

Problem: „Das haben so viele Leute geglaubt!„, lacht Jeanne Dillschneider. Ihr Handy sei regelrecht „explodiert“. Sogar ihre Mutter habe sich beklagt, „dass ich ihr sowas nicht persönlich sage und sie das bei Instagram erfahren muss“. In diesem Augenblick dachte sie sich: „Oh, vielleicht hab ich das ein bisschen zu weit getrieben.“ Eine hat damals übrigens nicht reagiert: Anke Rehlinger.

Die Frage, sich selbst in drei Adjektiven zu beschreiben, beantwortet Jeanne Dillschneider mit: „Durchsetzungsstark, empathisch und kreativ.“ Lernt man sie näher kennen, will man womöglich ergänzen: überlegt, klug, sympathisch. Die Handynummer von Jeanne Dillschneider sollte sich Anke Rehlinger vielleicht schon mal besorgen. Für alle Fälle.


20 Songs: Das ist Jeanne Dillschneiders Playlist

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Auf einen Kaffee mit …

Jeanne Dillschneider ist die erste Gesprächspartnerin unserer Serie „Auf einen Kaffee mit …“. Zum Gespräch gehören immer auch zehn schnelle Frage. Außerdem bitten sie die Gesprächspartner:innen um eine Playlist mit 20 Songs, die sie ausmachen oder die für sie eine besondere Bedeutung haben. Statt Kaffee darf es natürlich auch ein anderes Getränk sein.

Jeanne Dillschneider (27) hat von 2015 bis 2021 Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes studiert. Seit 2016 ist sie Mitglied der Grünen. Sie war zunächst Sprecherin der Grünen Jugend Saar. Seit 2019 ist sie Mitglied des Saarbrücker Stadtrats und seit Mai 2023 Landesvorsitzende der Saar-Grünen in Doppelspitze mit Volker Morbe.

Das Gespräch mit Jeanne Dillschneider im Wortlaut

Zu diesem Porträt im Rahmen der Reihe „Auf einen Kaffee mit…“ gibt es hier das Wortlaut-Interview:
Zum Interview mit Jeanne Dillschneider

Mehr zu Jeanne Dillschneider:
instagram.com/jeanne_marie_aline
Podcast „Kurz Kommunal“