Schneller als erwartet: Nationalpark Hunsrück-Hochwald wird immer wilder
An vielen Stellen ist kein Durchkommen mehr. Wege wachsen zu oder sind von umgefallenem Holz versperrt. Moosbewachsene abgestorbene Baumstümpfe stehen neben jungen Buchen unter großen Fichten neben verästelten Büschen. Ganz klar: Die wilde Natur ist im Nationalpark Hunsrück-Hochwald auf dem Vormarsch. „Diese Naturdynamik, dieser nicht vom Menschen gesteuerte Prozess, ist wesentlich schneller gelaufen, als wir uns das vorgestellt haben“, sagt der Leiter des Nationalparks, Harald Egidi.
Wildnisbereich in wenigen Jahren verdoppelt
Seit der Gründung des Nationalparks 2015 habe sich der Wildnisbereich von 25 Prozent auf knapp 50 Prozent verdoppelt. „Das hatten wir so nicht erwartet.“ Wenn man davon ausgehe, dass die Dynamik so weitergehe, werde der Park voraussichtlich schon 2030 sein Ziel erreicht haben, bei einem Anteil von 75 Prozent Wildniszone zu sein, sagt der Forstwirt. Ursprünglich sei dafür das Jahr 2045 angestrebt worden. „Wir hätten es dann also in der Hälfte der Zeit geschafft.“
Borkenkäfer sorgt für weniger Fichten
Für den Turbo ist der Schädling Borkenkäfer maßgeblich verantwortlich: Er konnte sich in den vergangenen trockenen Sommern rasant vermehren und hat ganze Fichtenwälder im Nationalpark vernichtet. „Ich schätze, dass die alten Fichten in zwei, drei Jahren kaum noch da sein werden“, sagt Egidi vor einem großen Areal mit abgestorbenen Bäumen. „Unser Ziel war ja, von den Fichten wegzukommen. Aber der Umbau passiert nun deutlich schneller.“ 2015 hatte die Fichte im Nationalpark einen Anteil von rund einem Drittel.
Wald ist nicht tot – im Gegenteil
In den Randzonen des Parks werden die befallenen Bäume gefällt und abtransportiert, um ein Ausbreiten des gefräßigen Borkenkäfers auf Wälder außerhalb zu verhindern. Ansonsten bleiben die toten grauen Fichten stehen. „Das ist für viele gewöhnungsbedürftig. Es ist aber kein toter Wald, sondern ein Wald, der ganz viel Leben in sich hat. Es gibt weitere Käfer, Vögel, die nisten und seltene Arten, die anders als im Wirtschaftswald zum Tragen kommen“, sagt der 61-Jährige.
Und man sieht bereits Buchen von unten nachwachsen. „Ich gehe davon aus, dass hier in den Hochlagen die Buche sich ihr Territorium zurückerobern wird.“ Was genau passiere, bleibe aber spannend. Sicher sei nur: „In ein paar Jahren wird hier alles wieder grün.“
„Viele Arten profitieren davon, dass Totholz nicht entfernt wird“, sagt der waldpolitische Sprecher der rheinland-pfälzischen Landtagsfraktion der Grünen, Fabian Ehmann. „Wenn man den Wald sich selbst überlässt, schafft er in kurzer Zeit eine atemberaubende Artenvielfalt.“ Man sehe bereits, dass der Nationalpark vielen gefährdeten Pilzen, Torfmoosen, Insekten und Fledermäusen, aber auch der Wildkatze ein sicheres Refugium biete.
100 Wildkatzen im Park
Mit der Zunahme der Wildnisgebiete, in der der Mensch nicht mehr eingreife, verbesserten sich die Lebensbedingungen für die Wildkatze weiter, sagt Egidi. „Sie sind sehr störungsempfindlich und brauchen den Rückzugsraum.“ Mit einem Vorkommen von mehr als 100 Wildkatzen sei der Park ein Hotspot für diese Tiere. Außer in Rheinland-Pfalz gebe es große Wildkatzen-Vorkommen noch im westlichen Thüringen.
Park liegt zu 10 Prozent im Saarland
Der Nationalpark erstreckt sich über die Hochlagen des Hunsrücks. Rund 90 Prozent der insgesamt rund 10 000 Hektar liegen in Rheinland-Pfalz, etwa 10 Prozent im Saarland.
Um zu erfahren, welche Tiere in welcher Stückzahl im Park unterwegs seien, gebe es immer wieder Monitoring, sagt der Leiter. „Wir hatten Hirsche mit Sendern ausgestattet und haben momentan auch Rehe am Sender.“ Der Park ziehe Vogelkundler, Botaniker und viele mehr an. „Es ist ein auf Dauer angelegtes Freilandlabor.“ Jüngst habe man über empfindliche Mikrofone, die aufgestellt wurden, festgestellt, dass der Sperlingskauz – die kleinste in Mitteleuropa beheimatete Eule – im Park vorkomme. „Das wussten wir vorher nicht.“
Klimawandel sorgt für neue Tierarten im Park
Dass der Klimawandel voll angekommen sei, merke man auch am Auftauchen von Arten, die vorher nicht bekannt waren – wie bestimmte Schmetterlinge, die aus dem angrenzenden Moseltal hoch „wanderten“. Andere Arten wie Flechten, die nicht so mobil seien, bräuchten länger. „Im Schnitt ist es hier schon zwei bis drei Grad wärmer als in den 1970ern“, sagt Egidi. Für Arten, die es kühl und nass liebten, könnte es künftig schwieriger werden. „Die können ja nicht mehr nach oben weg.“ Als Beispiele nannte er den Siebenstern und Arnika.
Umso wichtiger seien angesichts des Klimawandels die gut 1.700 Grabenverschlüsse, die angebracht wurden, um in den Hangmooren das Wasser am Abfließen zu hindern. „Man merkt, dass diese Flächen nasser sind als vorher“, sagt Egidi. Nach Angaben des Umweltministeriums in Mainz hat die zunehmende Vernässung der Moorstandorte einen positiven Effekt auf das Vorkommen seltener Zierarten: Es deute sich eine Zunahme von moortypischen Moosen und Gefäßpflanzenarten an, teilt das Ministerium auf eine Anfrage von Ehmann im Landtag mit.
Die Hangmoore seien in hohem Maße gefährdet, sagt Egidi. Und etwas Besonderes für den Park. „Wir haben 13 Prozent dieser Hangmoore auf die Fläche bezogen.“ Man müsse aber keine Angst haben, darin zu versinken. „Die Hangmoore sind meist knietief. Es gibt hier keine Moorleichen.“
Verwendete Quellen:
– Deutsche Presse-Agentur